Der Hemminger Walter Zimmermann schrieb ein Buch über den Hemminger Karl Rapp. Das Werk sollte eigentlich viel dünner werden. Doch der 78-Jährige gewann viele spannende Erkenntnisse über den „marxistischen Fantasten und Querulanten“.

Hemmingen - Es ist schon wieder passiert: Auch das zweite Werk des Hemminger Hobbyhistorikers Walter Zimmermann wurde ein Buch. Eigentlich dachte der 78-Jährige an eine Art Schrift mit 20 Seiten für den Ort, als er beschloss, sein Wissen über den „führenden marxistischen Novemberrevolutionär 1918 und späteren ‚Heiland’“ Karl Rapp niederzuschreiben. Stattdessen entstand ein Buch mit 94 Seiten. Vor über drei Jahren veröffentlichte Walter Zimmermann sein Erstlingswerk „Flurnamen in Hemmingen“. Was eine „einfache“ Liste von Flurnamen in seinem Heimatort werden sollte, entwickelte sich auch zu einem Buch, in dem er rund 230 Flurnamen wie „Schauchert“ und „Gaichelgraben“ erklärt.

 

Jetzt also ein Buch über Karl Rapp, ein besonders in Hemmingen, Esslingen und Urach so bekannter wie abgelehnter und verspotteter „idealistischer Marxist“ mit der Kernbotschaft „Werdet gut, so wird es gut“, wie Walter Zimmermann erzählt. Wegen seines „abnormen“ Äußeren – er trug einen üppigen Bart und lief selbst im Winter barfuß in Sandalen – und seiner „theokratischen“ Botschaften sei er nach 1945 als „Heiland“ oder „Heiland in Zivil“ bezeichnet worden. Als Theokrat fühlte sich Karl Rapp, der psychisch krank war, an die Gottesherrschaft und damit das Gute gebunden.

Lokales Beispiel für die Novemberrevolution gesucht

Walter Zimmermann interessierte sich bereits als Jugendlicher für Geschichte, Politik und die Prinzipien des Zusammenlebens. „Ich habe schon in der Schule gemerkt, dass Geschichte und Politik eng miteinander verbunden sind“, sagt der 78-Jährige. Wie er auf Karl Rapp kam? Der pensionierte Lehrer für Geschichte und Politik suchte einst für den Unterricht ein lokales Beispiel für die Novemberrevolution von 1918/19. Außerdem wollte er wissen, welche Ziele die politisch Aktiven verfolgten, die vor allem Sozialisten waren. „Als ich mich über die Geschichte des Arbeitervereins Hemmingen und der Hemminger SPD informieren wollte, stieß ich zum ersten Mal auf den Namen Karl Rapp“, erinnert sich Walter Zimmermann, der bis 2004 für die Sozialdemokraten im Gemeinderat saß.

Im Prinzip war Karl Rapp eine tragische Figur in einer hoffnungsvollen Zeit: 1918 bestand in Deutschland erstmals eine parlamentarische Demokratie. „Karl Rapp wollte eine bessere Welt. Dann hat er aber gesehen, dass sich die Menschen dem nicht anschließen“, sagt Zimmermann. Er recherchierte in den Achtzigerjahren drei Jahre lang und sprach auch mit älteren Hemmingern sowie Karl Rapps Schwester in Esslingen. Dort wohnte er von Ende 1929 an. „Durch das Scheitern der von ihm erhofften marxistischen Umgestaltung Deutschlands in der Novemberrevolution geriet sein Leben aus den Fugen“, sagt Walter Zimmermann.

Sohn einer Bäckerfamilie mit zunächst rosiger Zukunft

Dabei schien Karl Rapp zunächst eine rosige Zukunft bestimmt: Er wurde anno 1886 als siebtes von zwölf Kindern einer Bäckerfamilie in Hemmingen geboren. Er war ein guter Schüler und später Volksschullehrer in Urach. Auf eigenen Antrag wurde er 1920 frühpensioniert. Da war er gerade einmal 34 Jahre alt.

Gleichzeitig war Karl Rapp politisch aktiv: „Er war ein scharfer Kritiker der ‚alten’ SPD, die nach seinen Ansichten ‚Verrat’ an den sozialistischen Prinzipien begangen hatte“, berichtet Walter Zimmermann. Also gründete Rapp im Dezember 1918 in Hemmingen im voll besetzten Pfarrsaal einen Ortsverein der „wahrhaft“ sozialistischen USPD. 40 Personen schlossen sich an. Die „Unabhängige Sozialdemokratie“ hatte sich im Ersten Weltkrieg von der SPD abgespaltet. Die Begeisterung der Anhänger schwand allerdings schnell. „Karl Rapps Impuls mit der Gründung der USPD in Hemmingen scheiterte“, sagt Walter Zimmermann. Später gingen jene Anhänger im Hemminger Arbeiterverein zusammen, aus der schließlich der Ortsverein der SPD hervorging.

„Er ist überall angeeckt“

Karl Rapp habe als „marxistischer Fantast“ gegolten, der an der Realität verzweifelt sei, als „nicht ernst zu nehmender marxistischer Querulant“, „Außenseiter“, „schwieriger, eigensinniger Mensch“. Er sei überall angeeckt, sagt Zimmermann. „Eine inhaltliche Diskussion über seine Botschaften kam nach 1945 nicht oder kaum zustande.“ Das habe weniger an den Inhalten gelegen, sondern vielmehr an Karl Rapp als Person. „Er konnte seine zentralen Botschaften und Grundprinzipien wie Güte nicht glaubhaft leben.“

Auch deshalb scheiterte ein Neustart nach 1945. Der folgte der „Aufbruchphase“ 1935, in der Karl Rapp etwas gegen das Dritte Reich unternehmen wollte. Sein „offensives und penetrantes Vorgehen“ habe die Polizei auf den Plan gerufen. Damit begann sein Leidensweg in den „Heilanstalten“ des NS-Staates. Er wurde sogar zwangssterilisiert. Der NS-Staat, sagt Zimmermann, habe ihn als Geisteskranken betrachtet – und trotz seiner wiederholten Angriffe auf Hitler und die NS-Ideologie nicht als politischen Gegner.

Info Das Buch von Walter Zimmermann über Karl Rapp kostet zehn Euro. Es ist im Etterhof während der Öffnungszeiten erhältlich, außerdem im Schreibwarenladen Beuttler.