Nach der Übernahme durch Thalia bei Wittwer tritt nun auch die traditionsreiche Buchhandlung Steinkopf den Rückzug an. Die Gründe des Inhabers werfen kein gutes Licht auf die Innenstadt als Handelsort.

Stuttgart - An manchen Tagen wird es Reiner Steegmüller einfach zu viel. Da mag und kann er seine Geschichte nicht mehr erzählen. „Ich will nicht von morgens bis abends über dieses Thema schwätzen.“ Wer will es dem Inhaber der Buchhandlung Steinkopf verdenken. Seit Jahren kämpft er um den Erhalt der ältesten Buchhandlung (seit 1792) in Stuttgart – aber kaum einer hörte zu. Denn es ist dieselbe Geschichte. Alle bedauern zutiefst, wenn wieder ein Traditionsgeschäft in der Innenstadt gegen die Übermacht von Amazon und Zalando kapituliert, aber an ihrem Einkaufsverhalten ändern die wenigsten etwas.

 

So kommt es laut des bundesweit agierenden Immoblienmaklers JLL dazu, dass der Buchhandel in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren um 25 Prozent weniger Verkaufsfläche hat. Selbst der Platzhirsch am Schlossplatz, das Buchhaus Wittwer, hat den Kampf gegen den Online-Handel verloren. Der Buchriese Thalia hat jetzt im Stuttgarter Traditionshaus das Sagen. Reiner Stegmüller schätzt, dass der Rückgang an Fläche mit dem Verlust an Kunden gleichzusetzen ist: „Die Buchbranche hat in den letzen Jahren kapp 25 Prozent ihrer Zielgruppe verloren.“

Buchhändler wehrte sich mit Elan

Gegen dieses Schicksal wehrte sich Stegmüller lange Zeit mit Elan. Um die Pendler am Rotebühlplatz 10 auf dem Weg von oder zur Haltestelle abzufangen, öffnete er seinen Laden bereits um 7.30 Uhr und ackerte bis 18.30 Uhr durch. Auch an den Samstagen öffnete er seine Ladentüren um eine Stunde früher als der restliche Handel in der City. Das Konzept ging lange auf. Dass er den Passanten diese Sonderzeiten anbieten konnte, sei für jene sehr dienlich gewesen. Doch jetzt ist an diesem Standort Schluss. Wenn demnächst gebaut wird, „wird das definitiv vorbei sein“. Mehr noch: Die Kunde, dass auch das Gebäude am Rotebühlplatz 4 im Zuge der Kronprinzstraßen-Sanierung abgerissen werden soll, gab ihm den letzten Impuls: Er hat seinen Mietvertrag zum 31. Januar kommenden Jahres gekündigt. „Bitte erschrecken Sie nicht“, schreibt Reiner Steegmüller daher an seine Stammkunden ob dieser Nachricht, „wir wollen uns nur verändern und nicht aufgeben.“ Dann erläutert er die Gründe: „Die drohenden großen Baustellen des Zugangs zur S- und U-Bahn auf unserer Seite des Rotebühlplatzes, weitere Bauvorhaben, eine immer einzelhandelsfeindlichere Umgebung und ein seit Jahren sich hin zum buchresistenten Vorbeigängern wandelndes Laufpublikum (an manchen Tagen vermeine ich nur Primark-Tüten zu sehen) zwingen mich zu diesem Schritt.“

Was Steegmüller an den braunen Tüten des irischen Billig-Textilhändlers Primark festmacht, ist ein neues Merkmal der oberen Königstraße und der Querspange. Immobilien-Experten beschreiben es mit dem Wort „konsumig“ – es soll die Käuferschicht sozial beschreiben. Als Kunden, die nicht gerade bei Wempe Luxus-Uhren einkauft. Aus diesem Grund hat sich der Juwelier verändert – er öffnet in der Stiftsstraße auf der ehemaligen Fläche von Escada neu.

Downgrading in der Königstraße

Vor der Neueröffnung ihres zweiten Standbeins, dem Rolex-Shop im Dorotheen Quartier, erklärte Kim-Eva Wempe: Grundsätzlich sei sie an Plätzen mit starker Frequenz interessiert. Sie wisse auch, dass das Dorotheen-Quartier nie die starken Passantenströme der Königstraße erreichen werde, aber dennoch hoffe sie auf einen neuen Anziehungspunkt. Schließlich sagte sie zur oberen Königstraße: Sie habe eine sehr hohe Durchmischung von billig und hochwertig.

Reiner Steegmüller beobachtet diesen Trend seit rund zwölf Jahren. „Als Nachbar ist uns kaum noch ein Nachbar geblieben. Die Ansiedlung des Discounters Netto hat das Niveau der ganzen Umgebung deutlich nach unten gezogen.“ Nun scheint das Billige zu dominieren. Allerdings schlägt das nicht auf die Mieten nieder. „Die Spitzenmieten sind in der Königsstraße bei 270 Euro pro Quadratmeter seit Jahren stabil“, sagt ein Experte von JLL. Das gilt offenbar auch für den Rotebühlplatz 10, wo Reiner Steegmüller „eine horrende Ladenmiete“ in Höhe von 10 800 Euro für 180 Quadratmeter monatlich bezahlen muss. „Unser Laden steht inzwischen schlicht am falschen Platz und ist viel zu groß für heutiges und zukünftiges Einkaufsverhalten“, schreibt er an seine Kunden, „deshalb müssen wir schon aus Selbstschutz weggehen.“

Enden soll die 227-jährige Ära der Buchhandlung Steinkopf jedoch nicht. Steegmüller will in kleinerem Rahmen weitermachen. Er sucht eine kleine Präsentationsfläche für ausgesuchte Bücher, wo Bestellungen abgeholt und Kunden beraten werden können. Wenn sich nichts Passendes findet, will er in seinem Antiquariat an der Hermannstraße 5 weitermachen.

Denn eines hat Reiner Steegmüller in den Jahren des Kampfes verinnerlicht: „Aufgeben gilt nicht!“