Zwei Traditionsbuchhandlungen in Stuttgart machen dicht. Eine weitere steht auf der Kippe. Ein melancholischer Streifzug durch Oasen der Kennerschaft und untergehende Lebenswerke.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - Die Tage vor Weihnachten sollten eigentlich eine Hochzeit sein, die über dürftigere Phasen hinwegträgt. Doch das Geschäft ist leer, bis auf eine Mutter mit ihrem Kind, die die holzgeschnitzten Figuren mustern, die eines der Standbeine der Buchhandlung Quenzer in der Olgastraße sind – oder besser waren. Pädagogisch wertvolles Spielzeug bildete hier gewissermaßen eine anthroposophisch getönte Non-Book-Insel, auf die man sich vor den bedrohlichen Stürmen, die über die Branche hinwegfegen, retten konnte. Im letzten Jahr wurde noch das vierzigjährige Bestehen gefeiert. Nun zieren Plakate das Schaufenster: „Ladenfläche zu vermieten“. Ende Dezember ist Schluss.

 

Die Zahl der Buchhandlungen in Deutschland ist rückläufig, bestätigt der Sprecher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Thomas Koch. Nicht nur große Filialisten haben in den letzten Jahren ihr Flächen reduziert. Auch zahlreiche kleine Buchhandlungen mussten ihr Geschäft aufgeben. Die Gründe gleichen sich: Konkurrenz durch das Internet, steigende Mieten in den Innenstädten, schwierige Nachfolgersuche.

Umsatz ist seit Jahren rückläufig

„Vom Nutzen der Tränen“ lautet ein Titel in der anthroposophischen Ecke der Buchhandlung Quenzer. Der Vater des jetzigen Inhabers hat das Geschäft auf Rudolf Steiners Lehren ausgerichtet. Dafür sollte es doch gerade in Stuttgart ein Publikum geben. Doch seit Jahren ist der Umsatz rückläufig. Vor fünf Jahren hat Thiemo Quenzer die von seinem Vater 1976 gegründete Buchhandlung übernommen, der andernfalls schon damals das Ende gedämmert hätte. Jetzt hat er die Notbremse gezogen und lässt sich umschulen. Lokomotivführer – ein völlig anderes Gleis, auf das allenfalls die Liebe zum Kinderbuch geführt haben mag, Jim Knopf lässt grüßen. Eine reiche Auswahl dieses Segments, das Quenzer besonders am Herzen liegt, harrt jetzt darauf, verscherbelt zu werden. Auch deshalb, weil viele Leute sich wohl von seiner Sachkenntnis inspirieren lassen, am Ende dann aber doch woanders kaufen.

Auch das anthroposophisch orientierte Publikum ist gegen die Versuchungen der digitalen Welt längst nicht mehr gefeit und lässt sich seine holzgeschnitzten Urwüchsigkeiten bequemerweise gleich direkt ins Haus schicken. „Walddorfshop“ heißt im Netz das anthroposophische Pendant zu Amazon. Mit ähnlichen Mitteln wie der Versand-Krösus bedient das von einem findigen Walddorfschüler gegründete Unternehmen die Erkenntnis-, Sozial- und Leibessinne einer Kundschaft, die bisher bei Quenzer gut bedient war.

Serien statt Bücher

Noch ist das weit verzweigte deutsche Ladennetz im internationalen Vergleich vorbildlich. Der sogenannte stationäre Buchhandel ist immer noch der wichtigste Vertriebsweg für Bücher. Geschäfte wie die liebevoll geführte Vaihinger Schillerbuchhandlung machen ungefähr die Hälfte des Gesamtumsatzes aus. Doch der Buchmarkt steckt in einer Krise. Innerhalb von fünf Jahren hat sich der Umsatz gedruckter Bücher um dreizehn Prozent auf etwa acht Milliarden Euro im laufenden Jahr reduziert. Immer mehr Leser wandern zu anderen Unterhaltungsmedien ab.

Während bei der Buchhandlung Quenzer die Krise sichtbar ist, bietet die Schillerbuchhandlung das Bild eines lebendigen, intakten Geschäfts. Die Inhaberin Susanne Martin und ihre Mitarbeiterinnen sind in Beratungsgespräche verstrickt, zahlreiche Kunden tummeln sich in den vorweihnachtlichen Tagen um die Büchertische, die einen kundig zusammengestellten Überblick über das aktuelle Literaturgeschehen bieten und darüber hinaus. So würde man sich eine Buchhandlung vorstellen, die eine Antwort auf die Herausforderung von Amazon und anonymen Ketten gefunden hat. Und doch schließt das Geschäft nach 22 Jahren seine Pforten.

Prämiert mit dem Deutschen Buchhandlungspreis

Seit 1995 hat Susanne Martin mit großem Engagement den etwas abseits am Rande des Vaihinger Markt gelegenen Laden zum Blühen gebracht. Noch 2016 ist sie für ihren Einsatz mit dem Deutschen Buchhandlungspreis prämiert worden. Doch der Preis, in immer schwierigeren Zeiten zu bestehen, ist für die Inhaberin auch aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr zu leisten. „Mit Ende fünfzig sehe ich mich nicht mehr imstande, das zu leisten, was für eine fällige Neuausrichtung nötig wäre.“

Auch die Schiller-Buchhandlung leidet unter zurückgehenden Umsätzen, trotz vielfältigen Engagements im Veranstaltungsbereich und einem florierenden Online-Shop. Leerstände in dem Vaihinger Einkaufsumfeld machen sich bemerkbar, die Laufkundschaft wird weniger. Allein Amazon, dem Versandhandel die Schuld zuzuweisen, hält Susanne Martin für wohlfeil. Das Bewusstsein der Kunden sei gewachsen. Doch hat sie einen neuen Konkurrenten um die Aufmerksamkeit und Zeit der Kunden ausgemacht: Streamingdienste wie Netflix. „Früher wurde viel gelesen, jetzt schauen alle nur noch Serien.“

Große gesellschaftliche Veränderung

Seit 41 Jahren ist die Buchhändlerin aus Leidenschaft im Geschäft. Sie ist Mitglied von Jurys, Programm-Kommissionen und Gremien. In der gegenwärtigen Phase sieht sie die größte gesellschaftliche Veränderung seit der industriellen Revolution: „Bestimmte Modelle funktionieren einfach nicht mehr, daran kann man nichts ändern, dafür wird etwas neues entstehen.“ In der jüngeren Generation beobachtet Susanne Martin einen grundlegenden Mentalitätswandel. „Warum finde ich keinen Nachfolger?“ Mit der Aussicht auf viel Arbeit und wenig Geld will heute offenbar niemand mehr seinem Idealismus belasten. Auch von den vier Mitarbeiterinnen möchte niemand übernehmen: „Sie haben gesehen, wie ich kämpfen musste.“

So endet die Geschichte der Schiller-Buchhandlung wohl am 10. Februar. Beim Gedanken daran verspürt Susanne Martin ein komisches Gefühl: „Viele Kunden drücken Trauer und Anerkennung aus – das dicke Ende für mich kommt wohl noch.

Hilfreiches Coming Out

Ein weiteres Lebenswerk stand bis vor Kurzem mit dem Rücken zur Wand. Der Gründer des schwul-lesbischen Buchladens Erlkönig in der Nesenbachstraße, Thomas Ott, ging im Oktober mit einem Hilferuf an die Öffentlichkeit. Die Umsätze seines Ladens, einer von nur noch drei im deutschsprachigen Raum verbliebenen schwul-lesbischen Buchhandlungen, seien auf ein existenzgefährdendes Niveau gesunken. Um die Ladenmiete zu bezahlen und die Lebenshaltungskosten für zwei Personen zu bestreiten, bedürfte es eines monatlichen Umsatzes von 15 000 Euro, zum Zeitpunkt seines Vorstoßes belief sich dieser gerade einmal auf 10 000 Euro. Ott rechnete den Mitgliedern der Community vor, was es bewirken könnte, wenn jeder nur alle vier bis fünf Monate eine Postkarte kaufen würde oder wenn nur zehn Prozent von ihnen einmal im Monat 2,50 Euro in dem Geschäft lassen würden.

Zielgruppe weiß es nicht mehr zu schätzen

Seit 34 Jahren widmet sich der Erlkönig einem auf eine homosexuelle Leserschaft ausgerichteten Programm. Wer in den Regalen stöbert, der stößt nicht nur auf den Befund, wie sehr ein Großteil der Weltliteratur zugleich Teil eines schwul-lesbischen Kanons ist, er findet darüber hinaus ein Paradebeispiel dessen, was ein kundiger Buchhändler zu leisten vermag. Hier steht alles mit Bedacht, schwerlich wird man woanders ein ähnlich kenntnisreich geordnetes Sortiment antreffen. Doch offenbar weiß die Zielgruppe des Erlkönigs diese Expertise nicht mehr zu schätzen. Neben Amazon und zurückgehender Leselust leidet Thomas Ott unter einem paradoxen Effekt. „Je selbstverständlicher schwules und lesbisches Leben in der Gesellschaft geworden ist, desto weniger dringlich zeigt sich die Notwendigkeit, sich damit auseinanderzusetzen“, sagt Thomas Ott, „schwule Buchläden gibt es, solange man sie braucht.“

Darüber, ob man den Erlkönig noch braucht, ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Sei es die unbestreitbare literarische Qualität von Thomas Otts als Coming Out gehaltenem Hilferuf, in dem er sein aktuelles Anliegen mit der Erinnerung an den mutigen eigenen Aufbruch in die sexuelle Selbstbestimmung verknüpft hat, sei es die geweckte Aufmerksamkeit auch über den Kreis der Community hinaus für die Besonderheit dieser Institution – jedenfalls scheint der kleine Laden fürs erste gerettet. Nach der ungewöhnlichen Aktion haben sich die Umsätze verdoppelt. Ein Hoffnungszeichen wie ein Regenbogen.