Asketischer wurde selten über das Chaos der Gefühle geschrieben als im neuen Roman des südafrikanischen Nobelpreisträgers J. M. Coetzee – virtuoser auch nicht.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Ein melancholischer Pianist mit imponierender Mähne, Chopin, eine attraktive Spanierin aus besten Kreisen, deren Ehe die aufregendste Phase überschritten hat, ein gemeinsamer Aufenthalt auf Mallorca – was ließen sich aus diesen Zutaten für saftige Schmonzetten zusammenfabulieren. Sie würden allerdings mit Sicherheit einen anderen Autorennamen tragen als den J. M. Coetzees. Denn dicker Pinsel ist die Sache des südafrikanischen Nobelpreisträgers nicht. Er bevorzugt eher den nüchternen Bleistiftstrich, präzise Skizzen, deren Tiefe sich erst bei genauem Hinsehen erschließen. Und so könnte es allen, die in seinem neuen schmalen Roman „Der Pole“ ein aufwühlendes Künstler-Seelen-Beziehungsmelodram erwartet hätten, erst einmal gehen wie dessen Protagonistin Beatriz, als sie das Chopin-Spiel des polnischen Pianisten hört, den ihr Kulturzirkel zu einem Konzert in ihrer Heimatstadt Barcelona eingeladen hat: zu trocken, zu wenig Leidenschaft und überhaupt.