Emine Sevgi Özdamar schreibt Weltliteratur zwischen allen Türen. In diesem Jahr erhält sie den Georg-Büchner-Preis. Endlich, wer denn sonst.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Es ist nicht so, dass Emine Sevgi Özdamar von den Preisgerichten bisher übergangen worden wäre. Ganz und gar nicht. Wer sich aber noch an das ungläubige Staunen bei der diesjährigen Verleihung des Leipziger Buchpreises erinnert, als diese Auszeichnung nicht an ein Werk ging, das man ohne zu zögern in den Kanon der Weltliteratur einsortiert hätte, sondern an eine heitere Petitesse im Diskursgeschehen zwischen Kritikern – der kann nicht anders, als die am Dienstag verkündete Entscheidung der Akademie für Sprache und Dichtung für einen Akt ausgleichender Gerechtigkeit zu halten. Emine Sevgi Özdamar, die Autorin jenes in Leipzig so erstaunlich übergangenen Romans „Ein von Schatten begrenzter Raum“, erhält den Büchnerpreis.

 

Eine Reise durch Raum und Zeit im Dialog von Sprachen und Kulturen

Es ist die bedeutendste literarische Ehrung eines Landes, das sie 1965 als sogenannte Gastarbeiterin zum ersten Mal ohne jede Deutschkenntnisse betrat.

Und wer wissen möchte, wie aus diesen Anfängen eines der großen Lebenswerke der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur wurde, findet in ihrem jüngsten Opus Magnum gleich eine doppelte Antwort. Denn es verfolgt nicht nur aus erhabener Vogelperspektive eine biografische Reise durch Raum und Zeit zwischen Istanbul, Paris und Berlin, sondern ist auch der reinste Ausdruck jenes „zugleich intellektuellen wie poetischen Dialogs von Sprachen, Kulturen und Weltanschauungen“, den die Darmstädter-Jury in ihrer Begründung preist – und den die Akademie, wie man bei aller Genugtuung über die diesjährige Wahl sagen muss, lange genug überhört hat. Die 1946 in Ost-Anatolien geborene Kurdin ist nach Terezia Mora erst die zweite Preisträgerin aus dem vielsprachigen Einzugsgebiet, das schon seit geraumer Zeit die besten deutschen Romane speist.

Dem Debüt folgt eine Plagiatsaffäre

1991 hatte sie noch die Nase vorn. Damals erhielt sie als erste Nichtmuttersprachlerin in Klagenfurt den Bachmannpreis für einen Auszug aus ihrem Debüt, dessen Titel sich mit dem des letzten Romans ergänzt, und der, wie einem jetzt aufgeht, schon immer ein wenig nach Georg Büchners anarchischem Lustspiel „Leonce und Lena“ klang: „Das Leben ist eine Karawanserei, hat zwei Türen, aus einer kam ich rein, aus der anderen ging ich raus“. Zwischen den beiden Türen dieses Beginns erstreckt sich die Kindheit, für die sie Ausdrucksformen fand, die ihren Schriftstellerkollegen Feridun Zaimoglu im Roman über seine Mutter „Leyla“ so sehr beeinflusst haben, dass daraus eine Plagiatsaffäre erwuchs.

Was folgt ist eine Theaterkarriere, die sie nach Paris und an die Berliner Volksbühne führt, und auch an deutschen Fernsehzuschauern nicht spurlos vorübergeht, wann immer es gilt, in TV-Krimis die Rolle der Migrantin zu besetzen. Im literarischen Preiswesen war für diese Charge lange der Chamisso-Preis zuständig, den Özdamar für ihren zweiten Roman „Die Brücke vom Goldenen Horn“ über die 68er-Zeit in Berlin und Istanbul erhielt. Als Pionierin sogenannter Migrantenliteratur ist sie einmal aufgebrochen. Längst hat sie alle Klischees hinter sich gelassen, denen ihr zwischen Wachen und Träumen, Tod und Auferstehung, Berliner Schnauze und anatolischem Zungenschlag changierendes Schreiben ohnehin nie entsprochen hat. Die nächste Tür, die sich nun auftut, ist die in das Pantheon deutschsprachiger Gegenwartsliteratur. Am 5. November wird der mit 50 000 Euro dotierte Büchnerpreis in Darmstadt verliehen.