Am 19. März stimmen die Bürger über den Bau einer Fußgänger-Hängebrücke zum Aufzugstestturm ab. Die Mehrheit scheint sicher, der Protest der Denkmalschützer auch. Ist das Ganze eine Chance für Gewerbe und Tourismus oder einfach nur provinzieller Gigantismus?

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Rottweil - Vom Küchenfenster seines Fachwerkhauses aus hat Peter Kammerer die beste Sicht. Auf der anderen Seite des Rottweiler Neckartals hat Thyssen-Krupp in den vergangenen zwei Jahren einen riesigen Turm gebaut. Dort testet das Unternehmen Aufzüge. „Das war schon imposant, wie der Turm in die Höhe schoss“, sagt Kammerer. 4,60 Meter waren es jeden Tag. Nun fehlt noch die Außenhaut. Doch für ihn und seine Nachbarn am Bockshof, einer ruhigen Grünanlage an der Stadtmauer abseits jeglicher Touristenströme, geht der Ärger erst los. „Das so was kommt, davon war ja niemals die Rede“, sagt der 75-Jährige.

 

Es ist das Vorhaben von Günter Eberhardt, das die Anwohner erregt. Der Handwerker aus Hohentengen (Kreis Sigmaringen) hat es durch Fleiß und Knitzigkeit zu einer mittelständischen Baufirma mit mehr als 100 Mitarbeitern gebracht. Kürzlich lieferte er die Stahlbewehrung für eine riesige Moschee in Algier. Auch auf dem Aufzugstestturm war er zugange. Jetzt will er den Betonkoloss, der bald eine Aussichtsplattform haben soll, über eine Fußgänger-Hängebrücke mit der Rottweiler Altstadt verbinden. Sechs Millionen Euro soll das 600 Meter lange Bauwerk kosten. Ausgerechnet am Bockshof soll der Steg anlanden und auf 1,50 Meter Breite die Stadtmauer durchbrechen. Voraussetzung ist, dass die Rottweiler dies wollen. Am 19. März dürfen sie abstimmen.

Ungleicher Kampf

Seit der Gemeinderat den Bürgerentscheid beschloss, hängt ein großes Banner an einem der 500 Jahre alten Ackerbürgerhäuser. „Rottweil ohne Hängebrücke“ steht darauf geschrieben. Es ist das einzige sichtbare Zeichen des Protests. Demgegenüber hat der Oberbürgermeister Ralf Broß (parteilos) stadtweit 180 Plakate zugunsten des Projekts aufhängen lassen, finanziert aus den PR-Mitteln der Stadt. Der Gemeinderat sprach sich mit großer Mehrheit für den Brückenschlag aus. Und auch bei einer Bürgerversammlung am Donnerstagabend schienen die Befürworter in der Mehrheit.

Bereits im vergangenen Jahr sollen 50 000 auswärtige Baustellentouristen zum Testturm gekommen sein. Wenn im Herbst die Besucherplattform öffnet, soll die Zahl der Rottweil-Besucher laut Gutachten von jährlich 1,2 auf 1,4 Millionen hochgehen. Über die Brücke will man die zusätzlichen Gäste in die Altstadt locken. Etwa neun Euro Brückenzoll muss jeder entrichten. Kombitickets mit anderen Attraktionen seien denkbar. „Wir sagen Ja zur Brücke und freuen uns auf zusätzliche Kunden“, fasst eine Sprecherin des Rottweiler Gewerbe- und Handelsvereins die Hoffnungen zusammen.

Der Feuilleton spricht vom Gigantismus

Winfried Hecht, der Vormann der Gegner, hat es demgegenüber schwer. Der pensionierte Stadtarchivar spricht über den Charakter des Bockshofs als Wohnviertel und über das Landschaftsschutzgebiet im Neckartal, das durch zwei Betonpfeiler gestört werden soll. Als er auf die Anziehungskraft für Suizidgefährdete zu sprechen kommt, die ein 40 Meter hoher Steg ausübe, regt sich bei der Bürgerversammlung hörbarer Unwillen.

Unterstützung erfährt er dafür in der überregionalen Presse. Im Feuilleton der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ werden Turm und Hängebrücke als Ausdruck eines Gigantismus dargestellt, mit dem die württembergische Kleinstadt ihren Minderwertigkeitskomplex bearbeite. Der sei für die Provinz „strukturell bedingt“ und in Rottweil verankert, seit die freie Reichsstadt zu Württemberg kam. Manche dürften es allerdings auch für provinziell halten, dass es sich bei dem Autor des „FAZ“-Artikels um Hechts Sohn handelt.

Die historische Stadtansicht ist in Gefahr

So sehen Investor, OB und Gemeinderat dem Bürgerentscheid optimistisch entgegen. Entschieden wäre der Fall damit jedoch nicht. Denn erstmals hat sich auch das Landesdenkmalamt geäußert. Die Hängebrücke „verunklare“ die bis heute erhaltene Stadtansicht von Baden-Württembergs ältester Stadt, sagt die Referentin Ulrike Plate. Zudem stünden in unmittelbarer Nachbarschaft des geplanten Einstiegs der Pulverturm und die Lorenzkapelle, zwei „Kulturdenkmäler besonderer Bedeutung“, die auch Umgebungsschutz genössen. Der dort befindliche einstige Gottesacker der Stadt, bisher eine „pietätvoll gestaltete Grünanlage“, werde zu einer „profanen Verkehrsfläche“ umgestaltet und sei damit „nicht mehr erlebbar“. Man plane einen filigranen Einstieg mit einer unterirdischen Verankerung der Stahlseile, hält der Planer Martin Kathrein entgegen. „Wir benötigen nur 70 Quadratmeter.“ Das seien zwei Prozent des Bockshofs.

Ob das Landesdenkmalamt mit seinen Einwänden die Pläne bei einem Ja der Bürger stoppen kann, wird sich im weiteren Verfahren klären. „Wir bringen die Bedenken vor, dann wird abgewogen“, sagt Plate. Dies ist am Ende Aufgabe des Gemeinderats, dessen Entscheidung allerdings gerichtsfest sein muss. Wichtig sei, dass das Denkmalamt die Beeinträchtigungen nicht als „erheblich“ bezeichne, sagte der Fachbereichsleiter für Bauen im Rottweiler Rathaus, Lothar Huber. „Sonst wird es schwer für den Gemeinderat.“