Am Sonntag stimmen die Bürger in Schwieberdingen über den regionalen Gewerbeschwerpunkt ab – und damit darüber, ob sie Porsche die Tür öffnen wollen. Den finalen Argumentations-Austausch vor der Entscheidung gab es bei einem Talkabend unserer Zeitung

Ludwigsburg: Susanne Mathes (mat)

Schwieberdingen - Der Nobelwagen-Hersteller selbst, der in Nachbarschaft zu Bosch ein Werk für den elektrisch angetriebenen Taycan bauen will, ist im Abstimmungstext für den Bürgerentscheid mit keiner Silbe erwähnt. Antworten sollen die Schwieberdinger stattdessen auf die Frage: „Soll die Gemeinde Schwieberdingen darauf hinwirken, dass mit der interkommunalen Entwicklung des regionalen Gewerbeschwerpunkts begonnen wird und die hierzu erforderlichen bauplanerischen Maßnahmen eingeleitet werden?“

 

Diese im trockenen Verwaltungssprech formulierte Fragestellung birgt in der Strohgäu-Gemeinde selten dagewesenen Zündstoff. Es geht um eine 23 Hektar große, benachbart zum Bosch-Areal gelegene Fläche. Im Regionalplan des Verbands Region Stuttgart ist sie als Standort für größere Firmenansiedlungen vorgesehen. An 15 Hektar der Fläche hat Porsche Interesse. Doch an dem Vorhaben scheiden sich die Geister: Was die einen als Chance bejubeln, sehen andere äußerst skeptisch.

Der Talk zum Thema

Beim finalen Talkabend vor dem Bürgerentscheid, zu dem die Ludwigsburger Redaktion unserer Zeitung am Donnerstag einlud, packten Befürworter und Gegner bei einem pointierten Meinungsaustausch ihre Argumente auf den Tisch. Bei der von Vize-Redaktionsleiter Rafael Binkowski moderierten Diskussion im voll besetzten Schwieberdinger Bürgerhaus ging es kontrovers, mitunter zugespitzt zu, doch die Diskutanten vermieden Schwarz-Weiß-Malerei: Sie debattierten differenziert und fair. Selbst Konsens-Momente gab es, etwa in der von allen formulierten Bitte an die Schwieberdinger, in großer Zahl zur Wahl zu gehen. Ein repräsentatives Ergebnis führe auch zu breiterer Akzeptanz.

Die Erwartungen

Eine historische Chance sieht der Bürgermeister Nico Lauxmann in der Perspektive, einen Hochkaräter wie Porsche in den Ort zu bekommen: „Natürlich freut es mich, wenn ein Unternehmen wie Porsche Interesse an Schwieberdingen hat“, sagte er. „Eine Selbstverständlichkeit ist das nicht.“ Wenn eine Gemeinde gemerkt habe, was es heiße, ein großes Unternehmen am Ort zu haben, dann sei das Schwieberdingen selbst: „Ein Gebäude wie das Bürgerhaus, in dem wir gerade sitzen, hätten wir ohne Bosch gar nicht bauen können.“ Die Einnahmen der Kommune seien zuletzt aber deutlich zurückgegangen. Komme Porsche, komme auch neues Geld in die Stadtkasse, „und das wird Folgeeffekte haben“, so Nico Lauxmann.

Die Finanzen

Dem widersprach Karl Bendel von der Initiative Lebenswertes Strohgäu und erinnerte an Weissach und Hemmingen, in denen einst üppige Porsche-Gewerbesteuereinnahmen massiv eingebrochen seien, erst recht, seitdem Porsche zu VW gehöre. Auch von Zulieferern, die ihre Firmensitze andernorts hätten, seien keine sprudelnden Steuern zu erwarten. Rechne man noch Umlagen und andere Abzüge weg, könne man froh sein, wenn der Gewinn für das Gehalt des Bürgermeisters reiche. „Man könnte auch vom Gehalt der Erzieherinnen oder Bauhofmitarbeiter sprechen“, entgegnete Lauxmann. Was am Ende für Schwieberdingen übrig bleiben werde, sei aktuell ungewiss. Alle Zahlen, die im Raum stünden, „auch der Betrag von einer Million Euro, der aber nicht von mir kommt“, seien spekulativ. „Aber zu sagen, es kommt nur eine Million Gewerbesteuer rein, finde ich ein seltsames Argument. Eine Million Euro mehr würden unseren Haushalt deutlich voranbringen.“

Der Flächenverbrauch

Für Eberhard Zucker, Vorsitzender des Bauernverbandes Heilbronn-Ludwigsburg, führt kein Weg daran vorbei: „Wir müssen dringend eine andere Richtung einschlagen, was das Thema Flächenverbrauch angeht. Der frevelhafte Umgang mit Flächen wird sich irgendwann rächen. Von einer Bienenweide kann niemand leben.“ Ein gesamtgesellschaftliches Umdenken müsse her. 23 Hektar weniger landwirtschaftliche Fläche, das sei ein halber Vollerwerbsbetrieb. Befeuert wurde sein Appell von Markus Rösler, Grünen-Landtagsabgeordneter für den Wahlkreis. „Diese Äcker sind mit 94 von 100 Bodenpunkten bewertet“, sagte er. „Nur drei Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche in ganz Deutschland hat eine so hervorragende Qualität. Unter diesem Aspekt ist der Standort sehr schlecht gewählt. Der Fehler ist, dass man ihn an der Straße und nicht an der Schiene gesucht hat.“

Das Dilemma

„Das Argument mit den Böden beschäftigt mich am meisten“ sagte Markus Josenhans, FDP-Gemeinderat in Schwieberdingen, denn er sei Sohn einer Landwirtsfamilie. Aber auch Betriebe mit 50 Hektar halte er langfristig nicht für überlebensfähig. „Wenn ich mir die Bilanzen anschaue, retten diese Szene nur die Sonderkulturen, auch wenn mir das Herz blutet, das sagen zu müssen.“ Gute Industriebetriebe sicherten die Zukunft der Region, „und wir sprechen hier von einem grünen Fleck, der eingepfercht ist von einer Schnellbahntrasse und der Landstraße.“ Industrie gebe es dort ohnehin schon, auch seien schon Erweiterungsflächen für Bosch reserviert. Deshalb finde er die Entscheidung für den regionalen Gewerbeschwerpunkt richtig.

Die Blechkolonnen

Schon jetzt versinken die Landesstraße und die B 10 bei Bosch regelmäßig im Verkehrschaos. Das werde noch schlimmer, warnte Karl Bendel, „und über die ganzen Nebenstrecken ist noch gar nicht geredet worden“. Kämen noch 700 Berufspendler dazu, werde das die Entscheidungsträger aber weder als Argument für einen schnellen Stadtbahnanschluss noch für den B-10-Ausbau jucken. Bei Thema Bundesstraße wurmte auch den Bürgermeister: „An den Ausbau glaube ich erst, wenn der erste Spatenstich fällt“, sagte Nico Lauxmann. „Da hat uns die Bundespolitik schon so viel versprochen. Passiert ist nichts.“ Markus Rösler warf ein, beim Verkehr gelte wie bei der Wirtschaftsentwicklung: „Wo sind die Grenzen des Wachstums? Wie erreichen wir die Klimaschutzziele?“

Das Finale

Die Initiative Lebenswertes Strohgäu und Markus Rösler kritisierten, es sei nicht genug informiert worden die Entscheidung habe nicht lange genug treifen können. Das sah Nico Lauxmann anders: „Wir haben einen Prozess gewählt, der die Entscheidungsgewalt an die Bürger abgibt. Ich bin stolz auf meinen Gemeinderat.“ Landwirte-Vertreter Eberhard Zucker räumte ein: „Ich finde es gut, dass der Bürgermeister die Bevölkerung fragt. Ein mutiger Schritt.“