Die Offensive des Regimes dauert an. Viele Familien stranden im Nirgendwo, denn die Grenzen sind dicht – und alle Versuche, die Gestrandeten mit Zelten, Wasser und Lebensmitteln zu versorgen, sind bisher gescheitert.

Tunis - Wieder ziehen Elendstrecks durch Syrien. Hunderttausende Menschen fliehen dieser Tage mit Handkarren, Traktoren und betagten Autos in Richtung Jordanien und Israel, wo sie bei brütenden Temperaturen in den kargen Grenzregionen ausharren müssen. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind nahezu 40 Prozent der 725 000 Bewohner der südlichen Rebellenenklave mittlerweile auf der Flucht vor der Großoffensive der syrischen Truppen, iranischen Milizen und russischen Luftwaffe. „Jeder rennt um sein Leben“, sagte einer der Neuankömmlinge. Jordanien und Israel weigern sich, die Fliehenden über die Grenze zu lassen. Alle Versuche, die Gestrandeten von jordanischem Boden aus mit Zelten, Wasser und Lebensmitteln zu versorgen, sind nach Angaben aus Amman bisher am syrischen Einspruch gescheitert.

 

Vor zwei Wochen begann der massive Angriff der Assad-Kräfte auf die Provinzen Quneitra und Deraa, wo im März 2011 die Proteste gegen Bashar al-Assad ihren Anfang nahmen. Mehr als 130 Menschen sind bisher gestorben. Aktivisten posteten im Internet ein Foto aus der Kanzel eines Kampfhubschraubers, dessen Pilot einen Zettel in der Hand hielt mit dem Text: „Hier in Deraa begann die Krise, und hier werden wir sie beerdigen.“

Die Rebellen fürchten die Rache des Regimes

Parallel dazu verhandelte eine russische Delegation in der Stadt Bosra mit Rebellen und zivilen Vertretern des Südens über einen von Moskau so betitelten „Versöhnungsvertrag“. Die früher vom Westen unterstützte Fraktion Shabab al-Sunna ließ sich auf das Angebot ein, das den Kämpfern persönliche Sicherheit garantiert, wenn sie ihr Waffenarsenal aushändigen. Auch ein Dutzend Dorfvorsteher in den Gebieten westlich von Deraa erklärte sich bereit, unter die Kontrolle des Assad-Regimes zurückzukehren. Die große Mehrheit der Rebellen-Kommandeure und kommunalen Unterhändler jedoch misstrauten den Offerten der Angreifer. Man habe sich aus den Gesprächen zurückgezogen, weil „es in den Diskussionen keine Klarheit gibt, und weil die russische Seite nur ihre eigenen Bedingungen durchsetzen will“, hieß es zur Begründung. Daraufhin setzten am Dienstag die Luftangriffe und der Artilleriebeschuss wieder in voller Härte ein. Moskau hatte vorgeschlagen, dass nach einem Ende der Kämpfe alle Zivilisten unter dem Schutz russischer Militärpolizisten in ihre Häuser zurückkehren dürften. Junge Männer, die wehrpflichtig seien, müssten in sechs Monaten ihren Status mit der syrischen Armee klären. Einwohner und Rebellen jedoch befürchten, das Regime werde sich nach der Entwaffnung der Opposition rächen.

Nach einer Rückeroberung des Südens wäre Assad seinem Ziel, jeden Meter Boden Syriens zurückzuerobern, wieder ein Stück nähergekommen. Lediglich die an die Türkei grenzende Enklave Idlib im Norden würde sich noch Damaskus widersetzen. Auch in den syrischen Kurdengebieten konnte Assad seinen Einfluss in letzter Zeit wieder festigen. Die US-Administration sucht vor dem Gipfel von Donald Trump und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin am 16. Juli in Helsinki offenbar nach einer gemeinsamen Strategie mit Russland gegen die iranische Truppenpräsenz in Syrien. Die syrischen Rebellen im Süden ließ das Pentagon gleich zu Beginn der Regime-Offensive wissen, dass sie nicht mit einem amerikanischen Eingreifen rechnen können. Nach Angaben aus Washington ist US-Sicherheitsberater John Bolton bereit, einen militärischen Gesamtsieg Assads in Syrien mithilfe der russischen Luftwaffe zu akzeptieren, wenn Moskau und Damaskus im Gegenzug dafür sorgen, dass sich die iranische Truppenpräsenz deutlich reduziert. Unterdessen fordert die Union von Putin und Assad, ein Ende der Angriffe auf Daraa. Das Vorgehen sei „ganz klar völkerrechtswidrig, denn massenhaft Unbeteiligte werden zu Opfern“, erklärte der außenpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Jürgen Hardt (CDU) am Dienstag in Berlin.