Die Schulbürgermeisterin Susanne Eisenmann hält Fusionen von Sportclubs für ein zentrales Thema. Nischenangebote dürften trotzdem nicht verschwinden.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Thea Bracht (tab)
Stuttgart – - Menschen werden mobiler, engagieren sich lieber kurz- als langfristig und sind beruflich eingespannt: Auf diese und andere gesellschaftliche Entwicklungen müssten die Vereine reagieren, meint die Schul- und Sportbürgermeisterin Susanne Eisenmann. Als Herausforderung, aber auch als Chance sieht sie das sogenannte Stuttgarter Modell. Demnach sollen sich Vereine in Ganztagsschulen einbringen.
Frau Eisenmann, in wie vielen Vereinen sind Sie Mitglied?
Ich war als Jugendliche im Handballverein und im Tennisverein. Und in der Musikschule habe ich ein Instrument gelernt.

Welches Instrument, welche Position?
Im Handball war ich Kreisläuferin. Und ich habe 18 Jahre lang Violine gespielt. Ich kann aber leider nichts mehr, um die nächste Frage gleich mit zu beantworten.

Wo engagieren Sie sich heute?
Heute bin ich in keinem Verein mehr, weil ich das zeitlich nicht schaffe. Deshalb jogge ich. Wenn ich Zeit hätte, würde ich in einen Sportverein gehen, weil ich die Gemeinschaft und Geselligkeit sehr schätze.

Welchen Sport würden Sie gerne betreiben?
Ich würde gerne wieder Tennis spielen. Eine tolle Sportart, die mir liegt und die man bis ins hohe Alter betreiben kann.

Was zeichnet denn die Stuttgarter Vereinslandschaft besonders aus?
Über allem steht die unglaubliche Vielfalt, die wir haben – von Vereinen mit Nischenangeboten bis zu den ganz großen mit vielen Abteilungen. Diese Vielfalt macht die unglaubliche Stärke der Stadt aus. Trotz einer sich verändernden Gesellschaft müssen wir sie zwingend erhalten.

Im Bereich Wangen/Hedelfingen haben sich kürzlich vier Vereine zu einem großen Verein zusammengeschlossen. Ist die Vielfalt durch solche Fusionen gefährdet?
Die Vielfalt können Vereine nur anbieten, wenn sie stark aufgestellt sind. Vor allem für Sportvereine sind die Themen Kooperation und Fusion ganz zentral. Nehmen wir das Beispiel Hedelfingen/Wangen: Die vier Vereine haben festgestellt, dass sie alle Fußball anbieten. Jetzt haben sie den Bereich gebündelt und bieten ihn bürgernah an unterschiedlichen Sportstätten gemeinsam an. Eine der Sportstätten gestalten sie zu einer Golf-Driving-Range um, damit sie neue Zielgruppen ansprechen können.

Früher hätte ein Wangener Ärger gekriegt, wenn er seiner Clique gesagt hätte, er wechsle jetzt nach Hedelfingen. Bestehen da nicht immer wieder Vorbehalte?
Der Fusion wurde in allen vier Vereinen einmütig zugestimmt. Natürlich identifizieren sich Menschen mit ihrem Stadtteil. Wichtig ist, dass die Sportstätten erhalten bleiben – dann können sich die Mitglieder weiter mit dem Verein identifizieren. Diesen Ansatz verfolgen die Vereine sehr klug.

Die Stadtverwaltung will also Fusionen und Kooperationen weiter fördern?
Die Initiative muss vom Verein selbst kommen. In den neuen Sportförderrichtlinien der Stadt ist vorgesehen, dass wir zum Beispiel anteilig einen Hauptamtlichen finanzieren, der in der Geschäftsstelle das Mitgliederwesen zusammenführt. Bei Fusionen entstehen Synergieeffekte – und die Einrichtung eines Hauptamtes wird dadurch oft erst möglich.

Wird damit auch das Hauptamt wichtiger?
Wir brauchen die hauptamtliche Unterstützung, um das Ehrenamt langfristig zu erhalten. Weil immer mehr auf die Ehrenamtlichen zukommt, auch im rechtlichen, steuerrechtlichen und finanziellen Bereich, müssen wir sie entlasten.

Wie viele Vereine sind insgesamt auf Sie zugekommen, weil sie fusionieren wollen?
Sehr viele. Wir haben den Bereich Weilimdorf, den Bereich der Schlotwiese, die unteren und oberen Neckarvororte, wo dieser Prozess jetzt abgeschlossen worden ist, die IG Waldau, die eng kooperiert, und andere. Erfreulich finde ich, dass sich die Vereine zunächst selbst finden. So soll es auch sein. Sie entwickeln ihre Ideen und fragen dann, inwieweit die Stadt das organisatorisch, finanziell oder inhaltlich unterstützen kann.

Wird es langfristig eine VfB-isierung der Vereine geben?
Nein, das wäre ein Fehler. So gerne ich den VfB mag und so wichtig er als Aushängeschild für den Sportstandort Stuttgart ist, das kann nicht die Zielsetzung sein. Mir geht es nicht darum, dass wir in Stuttgart irgendwann sechs riesengroße Vereine haben, die das Vereinsleben gestalten. Das wäre ein großer Verlust in den Stadtbezirken. Wir brauchen die Vielfalt vor Ort.

Raten Sie den kulturellen Vereinen auch zu Fusionen?
Das ist allein eine Entwicklung im Bereich der Sportlandschaft. Im Kulturbereich ist das etwas völlig anderes. Wir haben ja auch keine Kulturförderrichtlinien wie im Sport. Der Sport hat einfach eine ganz andere Form des Organisationsgrades.

Über viele Jahre war der Anteil derer, die sich ehrenamtlich in Vereinen betätigen, relativ stabil. Jetzt sinkt der Anteil . . .
Natürlich nimmt die Zahl der Vereinsmitglieder tendenziell eher ab – auch aufgrund zunehmender Mobilität, beruflicher Anspannung oder der Tatsache, dass sich Menschen heute eher kurzfristiger engagieren. Auf diese gesellschaftlichen Entwicklungen müssen Vereine ein Stück weit reagieren. Mit zum Teil tollen Konzepten werben Vereine zum Beispiel gezielt um Kinder mit Migrationshintergrund.

Besonders deutlich ist der Rückgang bei jüngeren Menschen, was auch mit G 8 und den veränderten Studienbedingungen zusammenhängt. Macht Ihnen das Sorgen?
Nein, weil die Entwicklung zu Ganztagsschulen geht. In verbindlichen Ganztagsschulen sind die Kinder mit allem fertig, wenn sie um 16 oder 17 Uhr die Schule verlassen, weil Hausaufgabenbetreuung oder Förderung Teile des pädagogischen Konzepts sind. Damit können Vereine umgehen und Angebote für spätnachmittags machen. Hinzu kommt, dass in Baden-Württemberg konzeptionell schon immer Partner an der Ganztagsschule vorgesehen sind – also freie Träger. Ich halte es sehr wohl für möglich, Vereine in den freien Bereich zu integrieren.

Wie soll das funktionieren?
Im Rahmen der Ganztagsschulen entwickeln die Schulen ein pädagogisches Konzept. Zum einen gibt es den pädagogischen Bereich, da kommen zusätzliche Lehrerstunden vom Land. Beim pädagogischen Konzept geht es vor allem um den sogenannten Freibereich. Bietet eine Schule mehr Musik, mehr Bewegung oder mehr Sprachförderung an? Das hängt von der Schülerschaft und dem Schulumfeld ab. Deshalb arbeiten die Schulen an individuellen Konzepten. Diese müssen ausgeschrieben werden. Freie Träger machen Angebote, wie sie ein pädagogisches Konzept umsetzen wollen. Die Schule entscheidet dann, welcher Träger Partner wird.

Klaus Tappeser, der Präsident des Landessportverbands Baden-Württemberg, ist ja sehr früh auf Sie zugekommen, um sich als Träger ins Spiel zu bringen. Halten Sie das für etwas zu ambitioniert?
Der Bereich Sport hat sehr schnell reagiert. Erst später ist man sich im Detail darüber klar geworden, was das bedeutet. Wer sich für die Ausführung eines pädagogischen Konzeptes bewirbt, muss Hausaufgabenbetreuung genauso anbieten wie Mittagessen. Bei einem Gesamtangebot mit Musik, Kultur und Sport braucht der Träger eine Personalreserve und mindestens 20 bis 25 Schulen, damit sich das rechnet.

War es naiv von Tappeser zu glauben, dass sich sein Verband zu einem freien Träger entwickeln kann?
Nein, ich finde die Idee ausgesprochen interessant, so ein neues Standbein anzustreben. Es ist doch logisch, dass sich eine größere Organisationseinheit bei gesellschaftlichen Veränderungen überlegt, wie sie die Entwicklung mitgestalten kann. Das ist ein sehr zukunftsorientierter Ansatz von Herrn Tappeser. Über Strukturen und Kosten muss man sich in einem zweiten Schritt Gedanken machen.

Woher sollen die Übungsleiter kommen, wenn Vereine zusätzlich zum normalen Unterricht Sportangebote machen?
Die freien Träger bieten heute bereits im Rahmen dieser Ausschreibungen Sport an. Sie haben in der Regel eigene Leute mit Übungsleiterkompetenzen. Aber in Stuttgart gibt es ja große Vereine mit eigenen Übungsleitern. Und mir ist hierbei der Übungsleiter eines Sportvereins lieber als jemand, der Sport studiert hat und nebenberuflich für einen freien Träger arbeitet.

Der Einsatz von Übungsleitern soll von der Stadt bezuschusst werden . . .
Der Gemeinderat hat grünes Licht dafür gegeben, dass wir das zwei Jahre lang ausprobieren. Wir als Stadt legen eine bestimmte Summe dafür drauf, dass der Träger den Übungsleiter eines Vereins aus der Nähe engagiert – und nicht das eigene Personal. Wir werden in den nächsten zwei Jahren sehen, wie wir freie Träger, Sportvereine und Schulen zu einem Ganzen zusammenfügen können.

Um welche Summe handelt es sich?
Realistisch betrachtet müssen wir zehn bis zwölf Euro pro Stunde bezuschussen.

Und welches Gesamtvolumen hat der Gemeinderat bewilligt?
Wir steigen jetzt im Doppelhaushalt mit acht Grundschulen ein, die zu Ganztagsschulen werden sollen. An diesen Schulen werden wir genau dieses Konzept ausprobieren. Dafür haben wir 15 000 Euro bekommen plus eine Person, die ich seitens der Schulverwaltung stelle und die die Koordinierung übernimmt.

Wie können Vereine davon profitieren?
Für die Vereine bedeutet es sicher einen Mehrwert, wenn sie Zugang zu Kindern, Jugendlichen und zu den Eltern bekommen. Werbung für den Verein ist in diesem Fall ausdrücklich von uns gewünscht.

Bleiben Musikvereine und Chöre außen vor?
Den Mehrwert sehe ich nicht auf den Sport begrenzt. Der Musiklehrer von der Musikschule kann auf die Eltern zugehen, wenn das Kind sehr viel Spaß an einem Instrument hat. Die kulturellen Vereine sind bereits auf mich zugekommen. Sie sagen, wenn Sportvereine etwas anbieten, können wir das auch. Deshalb stellen wir den kulturellen Organisationen das Konzept für die Ganztagsschulen im Februar vor.

Und was soll der klassische ehrenamtliche Verein noch bieten, wenn die Profis die große Bandbreite im Programm haben?
Wir reden ja nicht nur über Kinder, wir reden von einer älter werdenden Gesellschaft mit sich ändernden Bedürfnissen – von Wirbelsäulentraining bis zu Herzgruppen. Darin liegt auch eine Zukunft.

Schauen Sie bei Bewerbern eigentlich darauf, ob sie ehrenamtlich tätig sind?
Ich achte sehr stark darauf, weil mir das immer imponiert. Da ist es mir ganz egal, ob jemand im Posaunenchor mitspielt oder Mitglied eines Sportvereins ist. Es prägt, wenn man sich in einem Verein engagiert, der vom Ehrenamt lebt. Solche Bewerber sehen, wo sie anpacken müssen. Sie sind in der Regel offener und oft bereit, mehr Verantwortung zu übernehmen.

Zur Vereinsgründung braucht man sieben Personen. Welchen Verein gründen Sie mit welchen sechs Personen?
Ich würde mit Freunden einen Chor gründen, der nicht öffentlich auftritt. Ich singe gerne, meine Begabung ist aber weniger auf Publikum ausgerichtet. Ein Freund – der einzige, der singen kann – spielt wunderbar Gitarre, der würde Chorleiter werden.

Wie heißt der Chor?
Die Sängerisch Unbegabten. Wir würden nirgends auftreten. Wir würden das für die Familie machen, die muss das ertragen.

Also kein Gesangverein, der sich auf Ihren Eintritt freuen kann?
Nein, da muss man bei der Betrachtung der Realität bei sich selbst ehrlich bleiben.

Das Gespräch führten Holger Gayer und Thea Bracht.