Wie hast du’s mit der Religion? Die berühmte Frage von Gretchen an Faust könnte auch bei der Bürgermeisterwahl in Eberdingen eine Rolle gespielt haben. Der Erstplatzierte ist evangelisch, der Zweitplatzierte Moslem.

Überglücklich zeigte sich Carsten Willing am Tag nach seiner Wahl zum künftigen Bürgermeister von Eberdingen. Am Sonntag hatte der 31-jährige Jurist und Verwaltungswissenschaftler mit 65,14 Prozent der abgegebenen Stimmen klar gewonnen. „Damit hatte ich bei einem so großen und starken Bewerberumfeld nicht gerechnet, das ist schon etwas Besonderes“, freute sich Willing, der sich auch im Gemeinderat und bei der Freiwilligen Feuerwehr von Eberdingen engagiert.

 

Der Wahlsieger will den direkten Kontakt mit der Bürgerschaft

Woran es gelegen haben könnte, dass er so deutlich gesiegt hat? „Ich habe schon gemerkt, dass mein Programm und mein Blick auf Eberdingen mit den Vorstellungen der Bürgerinnen und Bürger weitgehend übereinstimmen“, meinte er. „Die Bürger haben das Bedürfnis, mehr mit der Verwaltung zu kommunizieren. Die Verwaltung muss da offener sein.“ Und zwar bei allen Themen, die für Eberdingen, Hochdorf und Nussdorf wichtig seien – Leben und Wohnen, Arbeiten, Kinderbetreuung und wirtschaftliche Entwicklung. Sein Ziel sei es, die Bürgerschaft mehr ins Boot zu holen. So sollen die Einwohner im kommenden Jahr in mehreren Vor-Ort-Terminen ihre Wünsche und Vorstellungen einbringen können.

Anfeindungen gegen den Zweitplatzierten

Enttäuschung herrscht dagegen beim Zweitplatzierten Michael Kara. Und zwar nicht nur darüber, dass er trotz seiner Fachkenntnisse – er hat ein Studium zum gehobenen Verwaltungsdienst absolviert und ist derzeit Bürgermeister von Oggelshausen im Kreis Biberach – lediglich auf 19 Prozent kam. Sondern auch über die Erfahrungen, die er als Moslem im Wahlkampf gemacht hat. Manche hätten ihm die Türe vor der Nase zugeknallt, es seien ihm Beleidigungen an den Kopf geworfen worden, und einige der E-Mails, die er bekommen habe, seien heftig gewesen. Teilweise seien auch Wahlplakate beschädigt oder umgedreht worden. „Das nimmt mich schon mit“, sagte er. „Ich dachte, es komme nur auf die Qualifikation an.“

Kaum Bürgermeister mit ausländischen Wurzeln

Dabei ist ihm bewusst, dass es kaum Rathauschefs mit Migrationshintergrund gibt. In seiner Bachelorarbeit hat er sich damit auseinandergesetzt und festgestellt, dass am ehesten noch Menschen mit Vorfahren aus Griechenland oder Osteuropa Verwaltungen leiten. Eine Beobachtung, die auch von drei Autoren eines kürzlich in der Zeitschrift für Politik veröffentlichten Artikels zu dem Thema gemacht wurde: „Im Bürgermeisteramt sind die Anteile sowohl von Amtsinhabern als auch von Kandidaten mit Migrationshintergrund gering, insbesondere bei türkischem Migrationshintergrund.“ Laut Recherchen des Mediendienstes Integration haben aktuell drei von 337 Oberbürgermeistern ausländische Wurzeln. Zur Zahl der Bürgermeister liegen weder dem Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung noch dem Statistischen Landesamt Baden-Württemberg Zahlen vor. Auch Christopher Heck vom Gemeindetag sagt, es gebe keine Statistik dazu.

Auch das Netzwerk spielt eine Rolle

Da Bürgermeister direkt gewählt werden, kommt es auch auf ein gutes Netzwerk im Ort an. Das hatte Kara als Besigheimer in Eberdingen nicht – anders als Willing. Andererseits war das im noch weiter entfernten Oggelshausen auch kein Problem.

Michael Kara, dessen kurdische Eltern ihm ganz bewusst einen deutschen Vornamen gegeben haben, hat jedenfalls beobachtet, dass die Stimmung in Eberdingen nach der Kandidatenvorstellung in Hochdorf gekippt sei. Dort habe eine Frau ihm explizit die Frage nach seiner Religion gestellt. „Vorher gab es nur vereinzelt Nachfragen wegen meines Nachnamens.“ Er möchte seine Erfahrungen aber keinesfalls verallgemeinern: „Ich habe auch einige sehr nette Bürgerinnen und Bürger kennengelernt“, betont er.