In seinem Informationsblatt „Raspel“ ruft der Ortsverein Hemmingen die Bürger dazu auf, bei der Bürgermeisterwahl lieber einen leeren Stimmzettel abzugeben, als das „kleinere Übel“ zu wählen.

Hemmingen - Von „Hemminger Comedy“ sprechen die Bürger Wolfgang Fuchs (59) und Thomas Burkhardt (60) nach der Vorstellung der Bürgermeister-Kandidaten am Dienstagabend. Gegen den Rathauschef Thomas Schäfer (35) treten mit der Familienhelferin Fridi Miller (48) aus Sindelfingen und dem Stuttgarter Musikpädagogen Ulrich Raisch (56) zwei Bewerber an, die man „nicht ernstnehmen“ könne. „Die beiden haben kein Programm, sondern nur Ideen, die mit Hemmingen nichts zu tun haben“, sagt Fuchs.

 

So etwas müsse doch nicht sein, zumal Miller in der gerade mal drei viertel vollen Gemeinschaftshalle ihr Motiv für ihre Kandidatur nicht nur in Hemmingen offenbart hat. „Ich brauche Aufmerksamkeit für meinen Kampf für Kinder und ihre Rechte“, verkündete Miller. Sie trug an jenem Abend unter ihrer schwarzen Lederjacke ein Oberteil, worauf das Friedenszeichen prangte. Auch Raisch ist ein Bürgermeister-Dauerkandidat, mit seiner Bewerbung in Hemmingen kandidiert er zum 35. Mal. Unter ihm würde aus der Gemeinde eine „menschenfreundliche Kommune mit Musikkindergarten“. Viele Hemminger kennen Raisch bereits: Er wollte schon der Nachfolger von Werner Nafz werden.

Kontinuität bei Wiederwahl

Fuchs und Burkhardt sagen, dass sie sich bei Schäfer als Bürgermeister gut aufgehoben fühlten. Eine Wiederwahl schaffe Kontinuität, sagt Burkhardt, ein neuer Rathauschef müsse sich dagegen erst „reinschaffen“. Einen leeren Stimmzettel abzugeben, komme für sie nicht infrage.

Genau das rät die örtliche SPD in ihrer aktuellen Ausgabe der „Raspel“, ein „Informationsblatt für die Bürgerinnen und Bürger von Hemmingen“ unter der Überschrift „Der Bürgermeister-Wahl-O-Mat“ – und zwar Bürgern, die in keinem der drei Kandidaten einen Bürgermeister sehen, der die Geschicke der Gemeinde nach ihren Vorstellungen lenkt. Elf Fragen, mit „Ja“ oder „Nein“ zu beantworten, sollen den Bürgern zunächst dabei helfen, das „Profil für Ihren Muster-BM“ zu erstellen. Während die ersten zehn Fragen Kriterien abfragen, die aus Sicht der SPD der Amtsinhaber Schäfer nicht erfüllt, lautet die letzte Frage „Oder soll Ihr Kandidat dafür sorgen, dass alles bleibt, wie es ist?“

Vorwurf der fehlenden „Kultur des Mitredens“

Im zweiten Schritt rät die SPD zu prüfen, ob die Bewerber dem „Profil des Muster-BM“ entsprächen. Wer sich über Schäfer informieren wolle, tue das über die „Raspel“, beim Rest hülfen Internetrecherchen oder persönliche Gespräche. Geht es nach der SPD, sollen die Bürger lieber einen leeren Stimmzettel abgeben, bevor sie das „kleinere Übel“ wählen. Denn viele ungültige Stimmen führten zu Diskussionen. „Es ist ein Dilemma. Leider gibt es keine Alternative zu Schäfer. Wir rufen nicht dazu auf, nicht wählen zu gehen. Doch jeder mündige Bürger soll überlegen, was er tut“, betont Wolfgang Stehmer, der Fraktionschef der Rats-SPD und Vertreter der „Raspel“-Redaktion. Diese habe gemeinsam überlegt, wie sie die Wahl thematisiere.

Ob Kitagebühren oder Steuern: Die Sozialdemokraten, sagt Stehmer, hätten in vielen Punkten Streit mit Schäfer, der ein CDU-Mitglied ist. Sie werfen ihm unter anderem auch eine fehlende „Kultur des Mitredens“ vor und dass er zu viel in nicht öffentlichen Sitzungen vorberate. „Schäfer hat weder ein Konzept noch Visionen“, sagt Stehmer.

Kandidat mit passendem Format fehlt

Warum die SPD nicht selbst einen Kandidaten gestellt hat? „Den Vorwurf müssen wir uns gefallen lassen“, gibt Stehmer zu. Aktiv gesucht habe man keinen. Jedoch gebe es auch niemanden mit dem passenden Format. „Und ich selbst fühle mich zu alt für das Amt“, sagt der 66-Jährige.

Der Bürgermeister gibt sich angesichts der Aktion der SPD gelassen. „Ich stehe über den Dingen“, sagt Schäfer, für den die Partei ein „merkwürdiges Demokratieverständnis“ habe. Er habe damit gerechnet, dass vor der Wahl etwas von der SPD komme. „Man darf die ‚Raspel’ aber nicht überbewerten.“ Die Ansicht teilten viele Bürger. Die Vorwürfe der SPD wertet Schäfer als „Einzelmeinung einer Fraktion“. Die nicht öffentlichen Vorberatungen etwa seien in einem rechtlichen Rahmen, zudem würden die Bürger bei allen wesentlichen Themen selbstverständlich einbezogen.

Für die Freien Wähler hat das „perfide“ Verhalten ein Nachspiel. Sie wollen auf ihrer Internetseite und in sozialen Netzwerken zur Wahl aufrufen. „Man kann ja unzufrieden oder anderer Meinung sein“, sagt Wolfgang Gerlach. Ihn empört nicht der Wahl-O-Mat an sich, sondern dass die SPD zur Abgabe ungültiger Stimmen mobilisiere und Schäfer „so negativ“ darstelle, indem sie nur den Teil der Wahrheit äußere, den sie brauchen könne. Dieser „billige Weg“ sei „unwürdig für eine gestandene Traditionspartei“ wie die SPD. „Da sind die Sozialdemokraten über das Ziel hinausgeschossen“, findet Gerlach.