Das Verwaltungsgericht Freiburg hat die Bürgermeisterwahl in Neuenburg beanstandet, weil im dortigen Stadtanzeiger kurz vor der Wahl ein Beitrag erschienen war, in dem der amtierende Bürgermeister gelobt worden war.

Baden-Württemberg: Heinz Siebold (sie)

Freiburg - Das Verwaltungsgericht Freiburg hat die Bürgermeisterwahl in Neuenburg am Rhein (Kreis Breisgau-Hochschwarzwald) vom 19. April für ungültig erklärt. Das Urteil erzwungen hatte die bereits im ersten Wahlgang mit 37 Prozent deutlich gegen Amtsinhaber Joachim Schuster (59 Prozent) unterlegene Beate Wörlin. Ob gegen diesen Beschluss Beschwerde eingelegt wird, ist noch offen.

 

In der Mitteilung des Verwaltungsgerichts heißt es: „Als gesetzwidrige Wahlbeeinflussung stufte das Gericht einen anderthalb Seiten langen Artikel im Amtsblatt der Stadt Neuenburg ein, der dort etwa fünf Wochen vor der Wahl unter dem Titel erschienen war: ,In Neuenburg am Rhein wird kräftig investiert‘.“ Der Artikel in der „Stadtzeitung“ vom 13. März war ein Nachdruck des Berichts des Journalisten Jörg Hemmerich, der am 4. März im Magazin „Netzwerk Südbaden“ erschienen war. „Ein reines Standortporträt“, nennt es der Verfasser. Darin wird die Erfolgsstory des Grenzortes am Rhein geschildert und die Rolle des Bürgermeisters hervorgehoben.

Eine direkte Wahlwerbung oder der Aufruf: „Wählt Schuster!“ findet sich in dem wohlwollenden Text freilich nicht. Nur ein einziger Satz spielt auf die Wahl an: „Zum vierten Mal will der gebürtige Schwabe Stadtoberhaupt der alten Zähringerstadt werden, und dagegen spricht rein gar nichts.“ Schuster war zu diesem Zeitpunkt der einzige Kandidat, die Bewerbungsfrist begann am 13. Februar, erst einen Tag vor deren Ablauf, am 23. März meldete sich die später unterlegene Gegenkandidatin an.

Knapper Abstand

Für das Verwaltungsgericht hat der Artikel im Amtsblatt „nicht nur informierenden, sondern auch den Anteil des Bürgermeisters an den Erfolgen der Stadt Neuenburg hervorhebenden und lobenden, seine Wahl empfehlenden Charakter“. Allein schon deswegen habe das Wahlergebnis beeinflusst werden können. Es sei „entscheidend, dass der Bewerber Schuster mit seinem Wahlergebnis nur mit 372 Stimmen über der für eine Wahl im ersten Wahlgang erforderlichen absoluten Mehrheit gelegen habe“. Das mache nur vier Prozent der Wahlberechtigten aus. Unter anderem deshalb könne nicht sicher festgestellt werden, dass er die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen auch ohne die festgestellte und gravierende Wahlbeeinflussung erreicht haben würde.

Was sich nach Haarspalterei auf hohem Niveau anhört, ist aber eine für Wahlen sehr sensible Angelegenheit. Die Neutralitätspflicht von Amtsträgern beschäftigt die Behörden immer wieder, insbesondere bei Bundes- und Landtagswahlen. Die baden-württembergische Landesregierung hat zum Beispiel im August bereits früher geltende und überarbeitete „Hinweise zur Umsetzung des Neutralitätsgebots im Vorfeld landesweit abgehaltener Wahlen“ an die Ämter verschickt. Sie gelten auch für Kommunalwahlen. Die „heiße Phase“, in der etwa Besuche von Wahlbewerbern in amtlichen Einrichtungen unterbleiben sollten, wird auf acht Wochen veranschlagt.

Neutralitätspflicht gefordert

Die Neutralitätspflicht hat auch das Bundesverfassungsgericht mehrfach beschäftigt, das am 16. Dezember 2014 im Leitsatz festgestellt hat: „Soweit der Inhaber eines Regierungsamtes am politischen Meinungskampf teilnimmt, muss sichergestellt sein, dass ein Rückgriff auf die mit dem Regierungsamt verbundenen Mittel und Möglichkeiten unterbleibt.“

Nun ist der Bürgermeister der Stadt mit 12 000 Einwohnern kein Minister, aber die Neutralitätspflicht vor Wahlen gilt auch für ihn. Und das Amtsblatt der Gemeinde gehört sicher zu den „Mitteln und Möglichkeiten“, auf die ein Bürgermeister zugreifen kann. „Da muss man schon aufpassen, dass der Grundsatz der Gleichberechtigung vor Wahlen eingehalten wird“, betont Paul Witt, Rektor der Verwaltungshochschule Kehl, der „Bürgermeisterschmiede“, durch die rund 85 Prozent aller Bürgermeister des Landes gegangen sind. Witt ist aufgefallen, dass viele Amtsblätter neuerdings umfangreicher und professioneller geworden sind – und natürlich bestrebt sind, Stadt und Stadtoberhaupt im günstigen Licht darzustellen. Vor Wahlen werde das durchaus zum Problem, wie die Freiburger Entscheidung nun zeige.

Überrascht und perplex vom Freiburger Urteil, die Wahl in Neuenburg zu annullieren, ist Amtsinhaber Joachim Schuster (58), der in einer ersten Reaktion offenließ, ob er sich noch einmal zur Wahl stellen wird. Düpiert ist auch die Kommunalaufsicht des Landkreises, die den Artikel im Amtsblatt als Verstoß gegen die Neutralitätspflicht, aber als nicht wahlentscheidend eingestuft hatte. Auch sie könnte nach genauer Prüfung der richterlichen Entscheidung Beschwerde einlegen.