Bundesbank-Präsident Jens Weidmann tritt zurück. Ihm fehlen die Perspektiven für ein Ende der laxen Geldpolitik und der Rückhalt der künftigen Bundesregierung.

Frankfurt - Für Jens Weidmann ist der richtige Zeitpunkt gekommen. „Ich bin zur Überzeugung gelangt, dass mehr als zehn Jahre ein gutes Zeitmaß sind, um ein neues Kapitel aufzuschlagen – für die Bundesbank, aber auch für mich persönlich“, so schreibt der Bundesbank-Präsident in einem Brief an seine Beschäftigten. Ähnliches stehe auch in dem Rücktrittsgesuch an den Bundespräsidenten, das Jens Weidmann am Mittwoch an Frank-Walter Steinmeier geschickt hat und über dessen Inhalt er am Tag zuvor Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Olaf Scholz bereits informiert hatte. Zum Jahresende will sich der 53-Jährige von der Spitze der deutschen Notenbank und damit auch aus dem höchsten Gremium der Europäischen Zentralbank (EZB) zurückziehen.

 

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Als offizielle Begründung für den Schritt gibt er „persönliche Gründe“ an. Doch jeder, der den promovierten Volkswirt kennt, weiß, dass hinter dem Schritt mehr stecken muss. Darauf deutet auch ein Satz in seiner Erklärung hin, in der er der EZB-Präsidentin Christine Lagarde und seinen Mitstreitern im EZB-Rat dankt und gleichzeitig daran erinnert, dass „ein symmetrisches, klareres Inflationsziel vereinbart worden“ sei. „Nebenwirkungen und insbesondere Finanzstabilitätsrisiken sollen stärker in den Blick genommen werden. Ein gezieltes Überschießen der Inflationsrate wurde verworfen.“

Weidmann wollte eine Vision im Papier aufnehmen

Es war einer der letzten Streitpunkte, die Weidmann im EZB-Rat Ende Juli ausgefochten hatte, als es um die künftige Strategie der Notenbank ging. Am Ende stand er mit seinem belgischen Amtskollegen Pierre Wunsch aber gegen die Mehrheitsmeinung der insgesamt 25 Räte – auch das deutsche Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel stimmte für Lagardes Strategie.

Weidmann aber hätte sich mehr Perspektive gewünscht, heißt es. Anstatt der Öffentlichkeit zu signalisieren, dass die Zinsen noch lange so niedrig bleiben und die Geldversorgung noch lange so üppig sein wird, plädierte der Bundesbank-Chef dafür, zumindest eine Vision für den Ausstieg aus der krisenbedingten extrem lockeren Geldpolitik in das Papier aufzunehmen.

Immer wieder angeeckt

Mit seiner strikten Haltung war Weidmann in seinen zehn Jahren als Bundesbank-Präsident immer wieder angeeckt. Der gebürtige Solinger, der im schwäbischen Backnang aufgewachsen ist, war aber immer ein Verfechter der soliden Haushaltspolitik – spare in der Zeit, dann hast du in der Not. Und er ist ein ebenso eifriger Verfechter des engen Mandats, auf das sich die Europäische Zentralbank aus seiner Sicht konzentrieren soll: die Sicherung der Preisstabilität.

Die Krisen der letzten Jahre, angefangen bei der Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008/2009 über die Eurokrise bis hin zu der noch immer nicht bewältigten Pandemie und deren Folgen, haben viele dieser Grundsätze über den Haufen geworfen. Vieles davon war nötig, manches war zumindest aus Sicht Weidmanns übertrieben.

Aus Weidmanns Sicht sind zu viele Schulden schädlich

Im andauernden Krisenmodus sei „das Koordinatensystem der Geldpolitik verschoben“ worden, schreibt Weidmann an seine Mitarbeiter. Eine stabilitätsorientierte Geldpolitik werde dauerhaft indes nur dann möglich sein, wenn diese „ihr enges Mandat“ achte und nicht „ins Schlepptau der Fiskalpolitik oder der Finanzmärkte“ gerate. Auf jeden Fall aber solle Licht am Ende des Tunnels erkennbar sein – und das sieht Weidmann derzeit offenbar nicht.

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Erschwerend kommt hinzu, dass wohl auch eine wahrscheinliche Koalition aus SPD, Grünen und FDP dem Bundesbank-Chef nicht mehr Gewicht in der EZB verleihen würde, im Gegenteil. Zu viele Schulden sind aus seiner Sicht schädlich für jede Volkswirtschaft. Und, wie er 2014 in einem Interview mit der Stuttgarter Zeitung verriet, er habe sich statt für Chemie für das Studium der Volkswirtschaft entschieden, weil er etwas tun wollte, „das mehr mit Menschen, ihren Entscheidungen und ihrem wirtschaftlichen Wohlergehen“ zu tun habe.

Lagarde und Merkel äußern Bedauern

Weidmanns Rücktritt wurde trotz seiner oftmals kritischen Haltung überwiegend mit Bedauern kommentiert. EZB-Präsidentin Lagarde erklärte, sie respektiere Weidmanns Entscheidung, zugleich „bedaure“ sie diese aber „zutiefst“. Sie lobte die Erfahrung und Loyalität des scheidenden Bundesbank-Präsidenten und dessen Willen, trotz fester Meinungen zur Geldpolitik einen Kompromiss in den Reihen der Währungsunion zu finden.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nahm Weidmanns Entscheidung „mit Bedauern und mit großem Respekt zur Kenntnis“. Weidmann habe die Bundesbank in währungspolitisch herausfordernden Jahren „national wie international herausragend vertreten“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Die neue Regierung müsse nun eine Nachfolge finden, die das „stabilitätsorientierte Erbe der Bundesbank fortsetzt“.

Bankenpräsident Christian Sewing, zugleich Chef der Deutschen Bank, lobte Weidmann als „starken Präsidenten der Bundesbank“ und „international sehr geachtete Stimme in der Geldpolitik“. Er habe in turbulenten Zeiten den geldpolitischen Stabilitätskurs verteidigt und zugleich die gesamtwirtschaftliche Situation im Blick behalten.