Die Blütenpracht ist nur ein Element der Bundesgartenschau. Denn die Stadt hat die Chance erkannt und nutzt sie zudem als Impuls, um ein lange klaffendes Loch im Stadtkörper zu schließen.

Heilbronn - Der Wind fährt ins trockene Schilfgras am Ufer, riffelt die Wasseroberfläche und peitscht dicke Regentropfen vor sich her. Bleigrau wölbt sich der Himmel über der Szenerie, bis ein paar unvermutet hervorbrechende Sonnenstrahlen einen Regenbogen an den Horizont zaubern und die Hausfassaden auf der gegenüberliegenden Seite des Geländes der Heilbronner Bundesgartenschau (Buga) aufleuchten lassen.

 

Begeistert reißt Hanspeter Faas sein Handy aus der Jackentasche und fotografiert. Kurz vor dem Startschuss am 17. April hat den Buga-Geschäftsführer die Leidenschaft für sein Projekt nicht verlassen. Die auf dem Areal herumkurvenden Baumaschinen, die von dem gewaltigen Arbeits- und Zeitdruck bis zur Eröffnung künden, bringen ihn nicht aus der Ruhe. Wird schon schiefgehen – Faas ist Buga-Profi.

Es hat sich herumgesprochen: Die Heilbronner Bundesgartenschau – nach der Stuttgarter Buga 1977 erst die zweite ihrer Art in Baden-Württemberg – ist zwar auch, aber eben nicht nur eine Blümchenschau, sondern zugleich eine Bauausstellung, quasi eine Mini-IBA. Beherzt hat die Stadt die Chance genutzt, das 140-Millionen-Projekt als Motor für die Stadtentwicklung einzusetzen und im selben Zug Heilbronns Image zu liften. Denn in der öffentlichen Wahrnehmung war Heilbronn lange Zeit ein Nichtort. Die meisten Leute, sagt der Heilbronner Baubürgermeister Wilfried Hajek, kannten die 125 000-Einwohner-Stadt am Autobahnkreuz Weinsberg nur aus den Staumeldungen im Verkehrsfunk. In Städterankings rangierte Heilbronn regelmäßig auf den hinteren Plätzen – ein Reiseziel, das allzeit die großräumige Umfahrung lohnte.

Vom Krieg und seinen Folgen hat sich Heilbronn nie richtig erholt

Von den Verwüstungen des Zweiten Weltkriegs, in dem Heilbronn fast ausgelöscht wurde, hatte sich die alte, durch Handel, Schifffahrt und Salz zu Wohlstand und Ansehen gelangte Reichsstadt im Unterland nie richtig erholt. Ein gesichtsloser Wiederaufbau, Nachkriegsabrisse, mitten durch die Innenstadt gehauene Verkehrsschneisen und großkalibrige Bausünden wie das Wollhauszentrum machten Heilbronn geradezu zum Inbild der von Alexander Mitscherlich beklagten „Unwirtlichkeit“ der modernen Stadt.

Der seit einigen Jahren zu beobachtende Wandel setzte jedoch nicht erst 2007 mit dem Zuschlag für die Buga 2019 ein. Schon zuvor begann sich die Stadt mithilfe der Stiftung des aus Heilbronn stammenden Unternehmers Dieter Schwarz als Hochschulstandort zu profilieren. Mit innerstädtischen Shoppingzentren wie der Stadtgalerie und dem Klosterhof gelang es zudem, den Kaufkraftabfluss nach Ludwigsburg zu stoppen, und mit der neuen Stadtbahn Nord gelang es, den öffentlichen Nahverkehr auszubauen. Gleichzeitig wuchs am nördlichen Innenstadtrand der Technologiepark Wohlgelegen für Unternehmen aus Zukunftsbranchen.

Das Loch, ein ehemaliges Güterbahnareal, das zwischen diesen Bezirken und dem Zentrum im Stadtkörper klaffte, füllt nun die Buga oder der Neckarbogen, wie der neue Stadtteil auf dem Gartenschaugelände heißt. Es ging jedoch um mehr, als einen heruntergekommenen urbanen Leerraum auf der Nordseite des Bahnhofs zu besiedeln. Die glasklare Zielvorstellung der Stadt war es, den Neckarbogen mit den benachbarten Quartieren zu einem großen, zusammenhängenden Stadtraum zu verbinden, der die Kernstadt mit einschließt und vieles von dem einlöst, was die nachhaltige Stadt kennzeichnet: kurze Wege, Fahrräder und Fußgänger statt Autos, soziale und funktionale Vielfalt, Energieeffizienz, öffentliches Grün.

Selbst eine am Neckar entlang führende Bundesstraße musste diesem Ziel weichen (Hört man im Stuttgarter Rathaus die Signale?). „Im politischen Raum wirkt ein Projekt wie die Buga enorm disziplinierend“, konstatiert der Baubürgermeister zufrieden, „die Ambitionen sind hoch, die Termine gesetzt, entsprechend stark ist der Entscheidungszwang.“

Alle Häuser sollen Aussicht zum Wasser haben

Einen Coup hatten Steidle Architekten bei dem städtebaulichen Ideenwettbewerb 2010 gelandet: Die Münchner bescherten zwei Hafenbecken auf dem 30 Hektar großen Gelände ein Comeback. Sie waren in den sechziger Jahren zugeschüttet worden, nun geben sie die Dreiecksfigur der Bebauung vor. Alle Häuser sollen sich am Ende so um den Karlssee, den Floßhafen und am Neckar entlang gruppieren, dass sie Aussicht zum Wasser haben. Umgeben und durchzogen sind sie von einer hochattraktiven Stadtlandschaft mit terrassierten Auen, Promenaden und Baumalleen, die im Westen von einer Steinwand begrenzt wird. Wie alle landschaftlichen Elemente ist diese „mehrfach codiert“, womit der Buga-Chef Faas die vielfältigen Zwecke meint, die diese Elemente erfüllen.

So schirmt der markante Wall den Neckarbogen optisch und akustisch gegen den direkt angrenzenden Industriehafen ab, bietet Eidechsen ein Habitat und Kindern einen Kletterspielplatz, während man vom Skywalk oben auf der Mauer einen grandiosen Panoramablick auf die Gartenschau hat und in der anderen Richtung auf Bahngleise und Silos. Die Gewässer dagegen dienen der Naherholung und zugleich als Regenrückhaltebecken sowie als Reservoir zur Bewässerung der Bäume auf dem Gelände.

Die größte Wonne dieses von Sinai Landschaftsarchitekten aus Berlin konzipierten urbanen Landschaftsraums verschafft den Heilbronnern aber der fast ein Kilometer lange Holzsteg am Ufer des Karlssees, auf dem sie, umwedelt von Schilfgras und umfächelt von lauen Lüften (außer an stürmischen Märztagen), übers Wasser wandeln können. Wer in Planungsämtern und Ratssälen keinen Schimmer hat, dass öffentlicher Raum mehr ist als die Restfläche zwischen Hochbauten, sollte sich ein Ticket nach Heilbronn kaufen.

Die Stadt hat beim Bauprogramm viel richtig gemacht – aber nicht alles

Mehr Mut wäre den Gartenschau-Planern indes beim Bauprogramm zu wünschen gewesen. Zwar hat die Stadt viel richtig gemacht, etwa indem sie die Dichte im Quartier von anfangs vorgesehenen 1500 Bewohnern auf 3500 Personen im Endausbau erhöhte. Leuchttürme sind zweifellos das spektakuläre Experimenta-Gebäude der Berliner Architekten Sauerbruch Hutton und die in Kooperation mit den Stuttgarter Universitätsinstituten von Achim Menges und Jan Knippers entstandenen bionischen Pavillons, die aber nur eine auf die Buga-Dauer begrenzte Lebenszeit haben. Die Wohnbauten bleiben architektonisch dagegen reichlich konventionell, auch wenn die Stadt gemeinschaftlich zu nutzende Dachgärten für alle Bewohner anstelle von teurem Penthouse-Luxus durchsetzen konnte. In den Erdgeschosszonen werden nach der Buga Handel und Büros einziehen, insgesamt 1000 Arbeitsplätze, und so verhindern, dass sich der Neckarbogen zur monofunktionalen Schlafstadt entwickelt – auch das eine gute Entscheidung.

Ein echter Fehlgriff sind jedoch die Tiefgaragen unter den Gebäuden. Die Stadt hätte ein autofreies Gebiet mit einer Parkierung am Rand vorgezogen, musste sich aber der Bauträgerlobby geschlagen geben, die diesen Wunsch als „nicht marktgerecht“ ablehnte. Gebracht haben die gemeinsamen Tiefgaragen vor allem eine saftige Erhöhung der Baupreise und eine kompliziert zu knackende Nuss für die jeweils zu mehreren an einem Wohnblock beteiligten Unternehmen, die sich finanziell und organisatorisch zusammenraufen mussten.

Was die einer Mobilitätsidee von gestern geschuldeten Garagenplätze unterm Haus in einem Quartier aber wirklich bringen sollen, das nur ein paar Minuten vom Bahnhof und der Innenstadt entfernt ist und künftig durch eine neue Rad- und Fußgängerbrücke über die Bahngleise hinweg noch direkter angebunden sein wird? Und warum nur ein einziges (immerhin zehngeschossiges) Wohngebäude aus Holz? Warum nicht der ganze Stadtteil aus diesem nachwachsenden Baustoff? Das wäre wirklich zukunftsweisend gewesen. Und mehr als zwanzig Prozent geförderter Wohnungsbau hätten auch drin sein können.

Die Euphorie, mit der die ARD-Kultursendung „Titel, Thesen, Temperamente“ in einem Beitrag zum Bauhaus-Jubiläum die Heilbronner Buga vor Kurzem als legitimen Nachfolger der Moderne-Pioniere pries, klingt daher leicht übertrieben. Aber bewiesen ist damit, dass Heilbronn die Verkehrsfunkebene hinter sich gelassen hat und jetzt sogar im Fernsehen kommt. Um mit dem Baubürgermeister Wilfried Hajek zu sprechen: „Auch der hartnäckigste Nörgler muss zur Kenntnis nehmen, dass die Stadt sich verändert hat.“