Der Fußball-Schiedsrichter Martin Petersen vom VfL Stuttgart gibt in der neuen Saison sein Debüt in der ersten Liga – und zeigt nicht nur auf dem Platz eine klare Kante.

Sport: Marco Seliger (sem)

Stuttgart - Der FC Bayern München? „Sie spielen sich den Ball hinten hin und her, und dann kommt oft der lange, steil gespielte Ball in die Spitze. Darauf muss man vorbereitet sein, denn sonst stehst du im entscheidenden Moment zu weit weg.“ Borussia Dortmund? „Extrem schnelles Konterspiel, nach der Balleroberung rennen fünf, sechs Mann blitzschnell nach vorne, das musst du wissen.“

 

Keine Frage: Martin Petersen (32) ist vorbereitet. Und wenn man nicht wüsste, dass der Mann von Berufs wegen eine Pfeife im Mund hat und keinen Ball am Fuß, dann würde man ihn glatt für einen strebsamen Abwehrspieler der Fußball-Bundesliga halten, der die Pass- und Laufwege seiner Gegenspieler minutiös studiert.

Martin Petersen ist Schiedsrichter.

Debüt in der obersten Spielklasse

Und als solcher gibt der gebürtige Filderstädter in der neuen Saison sein Debüt in der obersten Spielklasse. Er ist einer von vier Schiedsrichtern, die für die neue Saison 2017/2018 in die Bundesliga aufgestiegen sind. 77-mal war er bereits als Assistent in der ersten Liga tätig. Bald folgt die Feuertaufe. „Ich freue mich tierisch“, sagt Petersen, der für den VfL Stuttgart pfeift – und sich nicht nur in der Theorie gewissenhaft auf die neue Herausforderung vorbereitet.

Das Trainingsgelände seines Clubs hinter der Gegengeraden der Mercedes-Benz-Arena ist in diesen Wochen das Revier von Martin Petersen. Ausdauerläufe und Sprints auf dem Kunstrasenplatz, Kräftigungsübungen auf dem Parcours daneben, dazu noch Waldläufe auf der Lieblingsstrecke in Degerloch – nicht nur die Spieler aus der Bundesliga, sondern auch die Schiris müssen ordentlich schwitzen in der Vorbereitung.

5000 Euro pro Einsatz in der ersten Liga

Dazu gibt es Lehrgänge, Videoanalysen, Fortbildungen, und als Lohn für die Mühen erhält Petersen bald 5000 Euro pro Einsatz in der ersten Liga. Und die Aussicht, in den größten Arenen der Republik der Entscheider auf dem Platz zu sein. So sagt es Petersen selbst, der damit einen ersten Eindruck darüber gibt, warum ihn die Schiedsrichterei so fasziniert.

„Derjenige zu sein, der dem Spiel einen Rahmen gibt, der Mann zu sein, auf dessen Entscheidungen ein ganzes Stadion reagiert, und bei diesen Dingen als Person möglichst immer im Hintergrund zu bleiben, all das übt einen sehr großen Reiz auf mich aus“, sagt Petersen. Anders ausgedrückt: Er ist gerne der Chef auf dem Platz. Und von der neuen Bundesliga-Saison an der Juniorchef unter den Referees.

Aber dabei ist Petersen auch einer, der wie wohl jeder Schiri nicht auffallen will. Denn wenn nach dem Spiel nicht über den Mann mit der Pfeife geredet wird, dann hat er alles richtig gemacht. Wie das geht? Gut pfeifen, klar und authentisch sein. „Du musst in deinen Entscheidungen immer berechenbar sein“, sagt Petersen. Die Spieler, ergänzt er, müssten sich auf die Linie des Referees verlassen können. Und, ganz wichtig: „Körperspannung – wenn man seine Entscheidungen auf dem Platz nicht aufrecht und überzeugend kundtut, dann kommt man nicht glaubwürdig rüber.“

Der Anruf des DFB-Schiedsrichter-Chef

Wer Petersen so zuhört, der könnte glatt meinen, dass da nicht der Novize der Referees redet, sondern der Routinier. Oder gar der Chef der Zunft. Ziemlich abgezockt kommt er rüber – einmal aber rang er kürzlich um die Fassung. Er wusste nicht mehr, wohin mit der Glückseligkeit. Es war Anfang Mai, als sich die Ereignisse im Leben des Martin Petersen überschlugen. Zuerst kam sein erster Sohn Julian zur Welt – und vier Tage später bekam er einen Anruf von Lutz-Michael Fröhlich. Der DFB-Schiedsrichter-Chef teilte Petersen mit, dass er bald nicht mehr nur in der zweiten und dritten Liga pfeifen werde. Sondern auch ganz oben, in der Bundesliga. „Eine unglaubliche Woche“, sagt Petersen, der nun so etwas wie ein Traumziel erreicht hat.

Früher, da stand er noch in der Jugend des VfL Stuttgart im Tor. Schiedsrichter aber war er schon, als er es noch gar nicht offiziell war. „Ich hatte schon immer einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und habe immer die Regeln bestimmt, wenn wir unter Freunden gekickt haben“, sagt er. Mit 15 Jahren dann reifte die Erkenntnis, dass es als Torwart wohl nicht für die ganz große Karriere reicht. Petersen sattelte um, besuchte einen Neulingskurs. Auch, weil er mit der Leistung einiger Schiedsrichter, die er als junger Fußballer erlebt hatte, nicht einverstanden war.

Das Ende des Kurses war der Anfang der Karriere als Referee, weil Petersen von diesem Zeitpunkt an wusste, dass er nichts mehr anderes im Fußballbereich machen wollte. Schnell erkannte er sein Talent – und umgekehrt wurde es beim Württembergischen Fußballverband ebenso schnell registriert. Petersen fand seine Erfüllung. „Körperlich alles zu geben und dann vielleicht ein positives Feedback nach dem Spiel zu bekommen, dass man gut gepfiffen hat, ein kleines Dankeschön von den Spielern vielleicht – das ist es, was ich an dem Job so liebe“, sagt er.

Petersen ist hart im Nehmen

Wer nun aber denkt, dass der Weg des Martin Petersen ohne Brüche nach oben führte, der täuscht sich gewaltig. Denn der gelernte Immobilienkaufmann ging schon durchs Stahlbad. 10. August 2015, DFB-Pokal, erste Runde. VfL Osnabrück gegen RB Leipzig. Die Atmosphäre im Spiel gegen die auch damals schon umstrittenen und oft ungeliebten Roten Bullen: aufgeladen. Provokationen auf und neben dem Platz. In der 71. Minute fliegt ein Feuerzeug. Es trifft Martin Petersen am Kopf. Er bricht das Spiel ab und muss wegen einer leichten Gehirnerschütterung ins Krankenhaus.

„Ich bin ein Typ, der so etwas mit sich selbst ausmacht“, sagt er im Rückblick. Nach zwei Wochen war er wieder im Einsatz, als Vierter Offizieller bei einem Bundesliga-Spiel. „Das war gut so“, meint Petersen, der die Dinge in den Stadien seither sehr reflektiert betrachtet. Schnell habe er die Sache für sich verarbeitet – grundlegende Dinge beschäftigen ihn bis heute. „Die Verrohung der Sitten greift immer mehr um sich“, sagt Petersen, „das ist nicht nur ein Problem beim Fußball, sondern in der Gesellschaft allgemein.“ Der Respekt untereinander werde weniger, die Hemmschwelle zur Gewalt niedriger: „Jeder sollte sich selbst hinterfragen, ob er alles dafür tut, dass wir ein besseres Miteinander haben.“ Auf dem Platz. Und daneben.