Das ehemalige Wohnhaus des Großschriftstellers Thomas Mann in Kalifornien soll ein transatlantisches Begegnungszentrum werden. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier würdigt die Eröffnung als wunderbaren Augenblick für die Freundschaft zwischen Deutschland und den USA.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Los Angeles - Es ist Abend in Los Angeles und der leichte Wind bringt Kühle in die Hügel von Santa Monica. Gerade hat der deutsche Schauspieler Burghart Klaußner ein Liebeslied gesungen. Im großen Garten ergehen sich Nachbarn, Wissenschaftler und Kulturmenschen aus Los Angeles. Im Haus hat Frido Mann, der Lieblingsenkel von Thomas Mann, den Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender soeben auf eine Entdeckungsreise in seine Vergangenheit und in die Geschichte genommen. Sie eröffnen an diesem Montag das Haus als transatlantisches Begegnungszentrum, in dem Thomas Mann und seine Familie zehn Jahre ihres kalifornischen Exils in der Nazi-Zeit verbracht haben.

 

Für Frido Mann, heute 77 Jahre alt, ist das hier vor allem ein Kindheitsort. „Im Arbeitszimmer waren wir an Weihnachten und haben gewartet, bis das Glöckchen nebenan im Wohnzimmer geklingelt hat“, erzählt er und lächelt. „Aber sonst war das allein sein Reich.“

Illustre Nachbarschaft

Vorne der Pazifik - hinten Hollywood. Sehen kann man das Meer wegen der üppigen Vegetation im Garten zwar nicht. Trotzdem beschreiben die zwei Pole die Lage von Manns Villa am San Remo Drive 1550 in Pacific Palisades, Los Angeles, ziemlich perfekt. Es klingt ein bisschen, wie Kurt Tucholsky einmal die ideale Immobilie der ewig mäkelnden Berliner beschrieben hat: „Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse, vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße“ – nur eben auf amerikanische Verhältnisse übertragen.

In der Nachbarschaft sollen Goldie Hawn, Diane Keaton, Matt Damon, Tom Hanks und Steven Spielberg wohnen. Hollywood-Prominenz hat sich an dem Abend nicht sehen lassen. Aber Uschi Obermaier, früher Ikone der 68er sowie Kommune-1-Bewohnerin und heute Schmuckdesignerin, ist gekommen.

Dass Frido Mann bei der Einweihung dabei ist, adelt die Sache. Aber er war damals dabei, und dass sein Großvater kein ganz normaler Opa war, hat er früh mitgekriegt. „Vielleicht weil er mir morgens beim Frühstück schon von seinem Besuch bei Präsident Roosevelt im Weißen Haus berichtet hat?“

Vor dem Abriss bewahrt

Für Frank-Walter Steinmeier, der sich schon als Außenminister für den Kauf des Anwesens eingesetzt hat, ist Thomas Manns Exilheimat vor allem „ein politisches Weißes Haus‘“. Thomas Manns Arbeitszimmer nennt er bei der Begrüßung das „Oval Office der Exil-Opposition gegen Hitlers Terrorherrschaft in Berlin“. Dass der Grundriss dieses Raumes keinesfalls gerundet, sondern viereckig ist, tut dem Bild keinen Abbruch.

13 Millionen Dollar hat der Bund 2016 für die Immobilie ausgegeben, um sie vor dem Abriss zu bewahren. Fünf weitere Millionen sind in die Renovierung geflossen. Zum Schrein ist die Exilheimat des nobelpreisgekrönten Buddenbrook-Autors in den USA durch die Modernisierung nicht geworden. Das wäre gar nicht machbar gewesen. Außer dem Grundriss sowie den dunklen Bücherregalen und der alten Holzvertäfelung im Arbeitszimmer ist nicht mehr viel übrig geblieben aus der Zeit, als die Manns im kalifornischen Exil lebten und der Großschriftsteller sich so konsequent als Antipode Hitlers exponierte, dass er zum Repräsentanten des anderen, des geistig-kulturellen Deutschland in den Zeiten der deutschen Barbarei avancierte.

Haus soll kein Museum sein

Das war aber auch nicht das Ziel. Ein Museum„ sollte das Haus keineswegs werden, meinte Markus Klimmer, der Vorstandschef des Trägervereins der Mann-Villa. Stattdessen soll Manns Villa zum deutschen Anker einer neuen Atlantikbrücke werden, in der Stipendiaten, die man auch Botschafter nennen könnte, sich mit Fragen unserer Zeit beschäftigen, die auf beiden Seiten des Atlantiks relevant sind und schon Thomas Mann beschäftigten: Demokratische Erneuerung, Freiheit, Migration und Exil. Der Schauspieler Burghart Klaußner, der Literaturwissenschaftler Heinrich Deterin, Nano-Wissenschaftler Yiannos Manoli und die Soziologin Jutta Allmendinger machen den Anfang.

„Großartig“, findet Frido Mann das Konzept des Begegnungszentrums, nicht nur, weil er das Anwesen von früher als belebtes Haus mit vielen Gästen in Erinnerung hat, sondern weil es auch heute darum geht, „Strömungen, die die Demokratie abschaffen wollen, Widerstand entgegenzusetzen“.

Erbe für spätere Generationen

Hier an diesem Ort an diesem Abend, ist spürbar, was für ein Erbe Thomas Mann nicht nur seinen Zeitgenossen, sondern auch den Nachkriegsgenerationen allein durch seine Haltung hinterlassen hat. „Doktor Faustus“, „Der Erwählte“ und den dritten Band der Josephs-Romane hat Thomas Mann hier geschrieben; die aufrüttelnden Reden an „Deutsche Hörer“, die die BBC ins Dritte Reich übertrug, wurden hier gesprochen. Mann setzt seine Figuren dem Sog totalitärer Ideologien aus, er lässt sie schuldig werden und Erlösung finden, und er appelliert an seine Landsleute, sich nicht immer weiter in die Verbrechen der Nazis zu verstricken.

Wenn er Zeit seines Lebens auf der richtigen Seite gestanden hätte, wären seine Werke wohl glatter geraten. Dass er als bürgerlicher Intellektueller und Kulturmensch zunächst sein Heil im Unpolitischen suchte, dass er im Ersten Weltkrieg schockpolitisiert wurde, dass er vom Verächter des Demokratischen zum Demokraten erst reifen musste, macht erst seine Tiefe aus. „Nichts von dem, was ich Ihnen über Deutschland zu sagen oder flüchtig anzudeuten versuchte, kam aus fremdem, kühlem unbeteiligtem Wissen; ich habe es auch in mir ich habe es alles am eigenen Leibe erfahren“, bekannte er 1945 bei einem öffentlichen Auftritt in Amerika.

Beziehungspflege in turbulenten Zeiten

Bundespräsident Steinmeier bescheinigt den Stipendiaten, dass sie die transatlantische Beziehungspflege in einer Zeit politischer Turbulenzen aufnehmen. Und er nimmt sie in die Pflicht. „Mögen die Stipendiaten dieses Haus mit demokratischem Geist erfüllen – und mit Debatten, die Kontinente überbrücken“, sagt Steinmeier. Es ist ein hoher Anspruch.