Der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier besucht Berufsschulen im Kreis Ludwigsburg. Egal ob Orgelbauer oder Hightech-Labore: Er will mehr junge Menschen für Ausbildungsberufe gewinnen.

Ludwigsburg - An Aufmerksamkeit fehlt es nicht. Dutzende Schüler drücken sich auf den Fluren der Oscar-Walker-Schule im Berufsschulzentrum Ludwigsburg herum. Man wartet auf den Bundespräsidenten. „Mal sehen wie der aussieht“, meint ein angehender Speditionskaufmann. Er ist sich nicht sicher, ob er Frank-Walter Steinmeier sofort erkennen wird. Dann fährt der Konvoi vor. „Es geht los, Handys raus, Leute“, ruft eine Schülerin.

 

Gleich kommen Frank-Walter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender nicht ins Schulhaus. Erst plaudern sie noch mit einer Mutter und deren Kind im Kinderwagen. Aber dann. Ein aufgeräumtes, gutgelauntes „Hallo, guten Morgen“ ruft das Staatsoberhaupt den Schülern zu. Elke Büdenbender wünscht schon mal alles Gute für die anstehenden Prüfungen.

Steinmeier lässt sich Orgelpfeifen zeigen

Das Präsidentenpaar gibt sich aufgeschlossen und Schülern und Lehrern zugewandt. Ganz getreu der Überschrift über die Woche der beruflichen Bildung, die Frank-Walter Steinmeier so formuliert: „Die berufliche Ausbildung hat sehr viel mehr Aufmerksamkeit und Wertschätzung verdient als bisher.“ Da sei er sich ganz einig mit Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann. Mit ihr zusammen habe er die Idee für die Woche im vergangenen Herbst entwickelt. Die Ministerin pflichtet zustimmend nickend bei.

Ludwigsburg hat einiges Anerkennungswürdige zu bieten. Deutschlands einzige Orgelbauklassen gibt es an diesem Berufsschulzentrum. sie ist ein immaterielles Kulturerbe der Unesco, wie Landrat Rainer Haas stolz den Gästen berichtet. Elke Büdenbender zeigt sich angetan von den Lehrlingen die aus Argentinien, den USA oder Albanien, gekommen sind um in Deutschland das Handwerk zu lernen, aber auch aus Dillingen an der Donau. Büdenbender wird der tiefste vom Menschen hörbare Ton von der einzigen in Rundholzbauweise hergestellten Orgelpfeife (Subkontra C, 16 Hertz) vorgespielt, während der Präsident geistig behinderte Schüler in der Berufsvorbereitung für die Bautechnik besucht und sich über den Übergang von behinderten Menschen in den allgemeinen Arbeitsmarkt informiert.

Lehrlinge aus vielen Ländern

Die Orgelbaulehrlinge plaudern ebenso unbefangen über ihre internationalen Montageeinsätze wie eine Station weiter die Azubis in der Altenhilfe ihre Tätigkeiten demonstrieren. 15 waren sie zu Beginn des Ausbildungsjahres, darunter viele Flüchtlinge, jetzt sind sie noch acht. Die meisten haben aufgehört, weil es mit der Aufenthaltsgenehmigung haperte. Stolz machen Elvis aus Kamerun, Saqib und Nanuli am lebenden Objekt vor, was sie über die Lagerung bettlägeriger Patienten wissen. Die Ausbilderin Renate Gutscher ist da deutlich nervöser. „Zur Aufregung besteht kein Grund. Sie wissen sehr viel mehr als wir“, beruhigt Steinmeier die Lehrerin. Und er vergisst auch nicht, die zweite Gruppe der hochmotivierten Lehrlinge auch noch zu einer Präsentation kommen zu lassen.

„Sehr beeindruckt“ geht es weiter zum Mittagessen in der Schulküche. Zubereitet von den Köchen, die zusammen mit den Restaurant- und Hotelfachleuten eine Klasse bilden, weil die Gastronomieberufe nicht sehr gefragt sind. Es gibt Kohlrabisuppe, überbackene Kalbsmedaillons, gratinierten Spargel und Herzoginkartoffeln und ein Gespräch hinter verschlossenen Türen mit Schulleitern, dem Berufsschullehrerverband aber auch der Schülermitverwaltung.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft gießt Wasser in den Wein und kritisiert, die Landesregierung wolle an den Beruflichen Schulen 600 Lehrerstellen streichen. Das weist die Ministerin umgehend zurück. Richtig sei, dass 600 Stellen zu besetzen seien.

Präsident besichtigt Hightech-Ausbildung in Bietigheim

In Bietigheim steht die Innovation im Mittelpunkt. Denn der Bundespräsident besucht die Lernfabrik 4.0 an der dortigen Berufsschule, ein landesweites Vorzeigeprojekt. Der hellweiß gestrichene Raum sieht aus wie eine moderne Fabrik: An den Wänden stehen Computerarbeitsplätze, in der Mitte eine robotergesteuerte Produktionslinie zum Teil hinter Plexiglasscheiben. Die örtlichen Honoratioren strahlen um die Wette, der Präsident wird mit Beifall begrüßt. „Die Anlage besteht zu 100 Prozent aus Industriebauteilen“, sagt der Schulleiter Stefan Ranzinger. Die Berufsschüler lernen hier später, was sie in modernen Fabriken brauchen: Maschinen und Software eng verzahnt, alles ist miteinander vernetzt. So bauen sie Schaltelemente zusammen, programmieren die Software und erleben dann, wie es in Aktion funktioniert.

Und so freut sich Christoph Port aus dem nahen Asperg, angehender Mechatroniker im zweiten Lehrjahr, dass er dem Staatsoberhaupt zeigen darf, wie das funktioniert. „Wir programmieren eine Anleitung für die Produktionslinie“, sagt er. Der Besuch ist für ihn eine „tolle Gelegenheit“. Gut 1,3 Millionen Euro hat das Hightech-Labor gekostet, auch örtliche Firmen wie Trumpf oder Kuka haben sich beteiligt. Zwölf Lehrer haben das Konzept entwickelt, und der umtriebige Landrat Rainer Haas wird nicht müde zu erwähnen, wie viel der Landkreis davon bezahlt hat. Man möchte eben ein wenig glänzen, wenn der Präsident kommt.

Die Schüler programmieren die Produktionslinie

Frank-Walter Steinmeier und seine Frau schauen fasziniert zu, wie die Schülerin Julia Nagel die ganze Anlage in Gang bringt, computergesteuerte Bänder laufen und mechanische Arme greifen. „Und das funktioniert per Fernbedienung?“, fragt Steinmeier nach. Ein profaner Begriff für das komplexe Steuermodul. Aber so soll Ausbildung für die Industrie 4.0 aussehen: digital, vernetzt, interaktiv. Auch wenn es vor allem in kleinen Ausbildungsbetrieben oft mit Digitalisierung hapert – ein Thema, woran das Berufsschulzentrum noch arbeiten muss.

So freut sich Steinmeier über die Eindrücke aus dem Kreis Ludwigsburg. Er drückt es mit einem der für ihn üblichen gedrechselten Sätzen aus: „Egal ob ein traditionelles Handwerk wie der Orgelbau oder das Lernfabrik 4.0, wir müssen eine Diskussion über die Ausbildung mit der Gesellschaft beginnen.“ Und das ist auch die Botschaft, die er mit dem Besuch verbinden will: Die duale Bildung ist ein deutsches Vorzeigeprojekt. Schließlich weiß der 62-Jährige als Sohn eines Tischlers, wie wichtig das Handwerk ist. Seine Frau Elke Büdenbender fordert ganz unverblümt mehr Menschen auf, Berufsschullehrer zu werden: „Das ist ein wirklich herausforderender Beruf.“ Dann sind Steinmeier und Büdenbender wieder weg – mit der Erkenntnis im Gepäck, dass Schwaben nicht nur schöne Autos bauen, sondern auch modern ausbilden können.