Joachim Gauck hat Maßstäbe im Amt des Bundespräsidenten gesetzt – auch mit der Art seines Rückzugs. Für Angela Merkel &. Co. wird es nicht zuletzt deshalb schwierig, ein würdige Nachfolgelösung zu finden, kommentiert Rainer Pörtner.

Politik/Baden-Württemberg: Rainer Pörtner (pö)

Stuttgart - Für einen Politiker gehört die Entscheidung, wann der richtige Zeitpunkt zum Aufhören ist, zu den schwierigsten überhaupt. Wenn nicht der Wähler, sich wandelnde Mehrheitsverhältnisse oder ein selbst verschuldeter Skandal den Rückzug erzwingen, tun sich vor allem herausragende Politiker schwer, einen gelungenen Abgang hinzulegen.

 

Joachim Gauck musste sich selbst entscheiden. Er ist ein Staatsoberhaupt ohne Skandale. Weder die Bürger noch die Parteien, die ihn vor vier Jahren zum Bundespräsidenten wählten, sind seiner überdrüssig. Im Gegenteil: Hätte Gauck sich für ein Weitermachen entschieden, hätte dies eine Welle der Erleichterung und Freude ausgelöst. Nun ist klar: Gauck will keine Wiederwahl im kommenden Jahr. Er begründet dies überzeugend mit seinem hohen Alter, in dem er keine weiteren fünf Jahre voller Energie und Tatkraft garantieren könne.

Seine Vorgänger hatten das Amt beschädigt

Alles spricht dafür, dass Gauck nach einer formidablen Präsidentschaft ein großartiger Abgang gelingt. Er geht unangefochten, aus eigener Souveränität und teilt seinen Entschluss so frühzeitig mit, dass in Ruhe eine würdige Nachfolgelösung gefunden werden kann.

Sein Vorvorgänger Horst Köhler flüchtete aus der Verantwortung. Sein Vorgänger Christian Wulff verhedderte sich in einem Netz von Skandälchen und wurde aus dem Schloss Bellevue geradezu vertrieben. Das Amt des Bundespräsidenten war durch beide beschädigt – wenn auch auf ganz verschiedene Weise und in unterschiedlichem Maße. Mit Gauck hat das Amt die ihm grundgesetzlich zugedachte Bedeutung zurückgewonnen.

Ein „politischer“ Präsident im besten Sinne

Der ehemalige Pastor nimmt gesellschaftliche Strömungen und deren Veränderung sensibel wahr. Er weiß gleichermaßen präzise wie bildreich zu formulieren. Es gelingt ihm, die großen und langen Linien der Politik zu zeichnen, ohne dabei abgehoben zu wirken. Gauck hört Volkes Stimme, ohne sich selbst mit den Politikverdrossenen gemein zu machen – ganz im Gegenteil, mit ihnen redet er kritisch Klartext. Er tritt für Freiheit und Demokratie auch da ein, wo es unbequem ist: gegenüber den Putins und Erdogans dieser Welt. Er war – und bleibt hoffentlich auch in seinem letzten Amtsjahr – ein „politischer“ Bundespräsident im besten Sinne.

Jetzt müssen andere, allen voran Kanzlerin Angela Merkel, mit dem Fluch dieser vielen guten Taten klar kommen: Gauck hat die Maßstäbe, an denen die Nachfolgerin oder der Nachfolger gemessen werden, sehr hoch geschraubt.