Wahlprüfsteine: Wie soll das Land künftig aussehen? Heute: Nicht nur Terror bedroht die innere Sicherheit. Wir zeigen Herausforderungen und Lösungsmöglichkeiten auf.

Stuttgart - Um eine Reihe von Themen ringen die Parteien in diesem Bundestagswahlkampf besonders. Wir zeigen Herausforderungen und Lösungsmöglichkeiten auf. Heute geht es um die Zukunft der inneren Sicherheit.

 

Wo lauern die Gefahren?

Wenn es allein der Terror wäre. Man muss kein ängstliches Gemüt sein, um angesichts der vielfältigen Gefahren für die innere Sicherheit die Stirn in Falten zu legen. Mysteriöse Mächte legen die Computer ganzer Nationen lahm, türkische und italienische Verbrecherorganisationen machen sich in Deutschland breit, der Respekt vor der Polizei weicht zunehmend roher Gewalt, und dann gibt es ja noch die Alltagskriminalität wie etwa Wohnungseinbrüche. Vom Terror ganz zu schweigen: Berlin, Hamburg, Würzburg . . .

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Muss der Staat da nicht völlig andere Saiten aufziehen? Sind die lange gepäppelten „Bürgerrechte“ nicht ein Relikt aus guter alter Zeit, in der es weder Hassprediger noch Fake News gab? Die Kursbestimmung zwischen Freiheit und Sicherheit ist eines der Kernthemen dieser Tage, und natürlich wird auch der Wahlkampf von der Frage bestimmt, wo denn der Pfad verlaufen soll zwischen Überwachung und Härte einerseits und andererseits den Freiräumen, die mündige Menschen brauchen. „Absolute Sicherheit kann es nicht geben“, wiederholen Politiker ein ums andere Mal – und ziehen die Schrauben doch immer weiter an.

Was sagen die Zahlen?

Statistisch betrachtet ist die Lage gar nicht so düster. „Licht und Schatten“ hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière bei der Vorstellung der Kriminalstatistik 2016 vermeldet. Zwar bleibt die Gesamtzahl der bekannt gewordenen Straftaten mit sechs Millionen auf einem relativ hohen Niveau. Doch lässt man die Verstöße gegen das Asyl- und Aufenthaltsrecht außer Betracht, die auch wegen der hohen Flüchtlingszahl stärker als in den Vorjahren zu Buche schlagen, zeigt sich sogar Entspannung. Es gibt weniger Ladendiebstähle, weniger Einbrüche, außerdem hat die Aufklärungsquote mit 54 Prozent den höchsten Stand seit fünf Jahren. Und doch weiche das subjektive Sicherheitsempfinden vieler Menschen davon ab, sagt der Kriminologe Christian Pfeiffer und führt dies darauf zurück, dass Medien stärker als früher über Verbrechen berichten. Auch Umfragen bestätigen die wachsende Furcht.

Woher rührt das Missverhältnis?

Das Missverhältnis hat wohl auch damit zu tun, dass die hohe Politik zwar leidenschaftlich über Vorratsdatenspeicherung und andere Instrumente der Terrorabwehr diskutiert, aber die Alltagskriminalität „nicht ausreichen wichtig“ nimmt, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel dies bei einer Tagung jüngst selbstkritisch eingeräumt hat. Die statistische „Entspannung“ ändert außerdem nichts an der Tatsache, dass vor allem die Gewaltkriminalität in den vergangenen Jahren zugenommen hat – und die macht Angst. Mord und Totschlag, Raub und Körperverletzung schlagen 2016 mit plus 6,7 Prozent zu Buche. Auch spektakuläre Sexualverbrechen wie in Freiburg oder Endingen nagen am Sicherheitsgefühl vor allem von Frauen. Und wie steht es mit der Terrorfurcht? Jeder Zweite fühlt sich unsicherer als zuvor, hat YouGov ermittelt. Anschläge wie zuletzt in Barcelona können auch in Deutschland wieder verübt werden, warnen Sicherheitspolitiker – und legen alles daran, dies zu vereiteln.

Viel hilft viel – oder nicht?

Im Angesicht des Terrors haben Bund und Länder die Sicherheitsbehörden kontinuierlich aufgerüstet – juristisch und materiell. Selbst Grünen-Politiker wie Winfried Kretschmann wollen bis an die Grenze des verfassungsmäßig Zulässigen zu gehen, um die Bürger zu schützen. Fußfessel für Gefährder, gemeinsame Übungen mit der Bundeswehr und ein breiter Einsatz von Telekommunikationsüberwachung sollen das Arsenal bereichern. Geht das nun munter weiter? Darüber haben die Parteien unterschiedliche Vorstellungen. Während etwa die CDU zusätzliche Instrumente wie etwa intelligente Videotechnik zu Fahndungszwecken einsetzen will, bremsen andere Parteien. Allein mit Gesetzesverschärfungen werde man nicht erfolgreich sein, sagt etwa die SPD und fordert mehr Extremismusvorbeugung. Ein Großteil der Terroristen, so argumentiert die FDP, seien den Behörden doch ohnehin bekannt gewesen – und dennoch konnten die ihre Verbrechen begehen. Siehe der Fall des Berliner Weihnachtsmarkt-Attentäters Anis Amri.

Was lässt sich verbessern?

Wo es immer wieder hakt, ist die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern bei der Verbrechens- und Terrorabwehr. Die Menschen hätten wenig Verständnis für unterschiedliche Grade an Sicherheit in den Ländern, sagte Merkel kürzlich, weil zum Beispiel Bayern die Schleierfahndung praktiziere, Nordrhein-Westfalen aber nicht. Der Bundesinnenminister hat deshalb mehr Einheitlichkeit und deutlich mehr Kompetenzen für den Bund gefordert – was in den Länder heftige Abwehrbewegungen ausgelöst hat. Auch innerhalb der EU ist noch viel Sand im Getriebe, weil etwa Interpol nach Ansicht mancher Fachleute zu wenige Kompetenzen hat.

Einigkeit beim Personal

Fast alle Parteien sprechen sich dafür aus, das Personal der Polizei in Bund und Ländern aufzustocken. Die Zeiten, da die Sicherheitsbehörden als Steinbruch dienten, um mit den Bruchstücken Haushaltslücken zu stopfen, scheinen vorerst vorbei zu sein. 15 000 zusätzliche Polizisten sollen bundesweit eingestellt werden, meinen etwa CDU und SPD. Wo diese herkommen sollen, sagen sie allerdings nicht, denn der Markt ist leer gefegt. Berlin hat deshalb jüngst die Bewerbungsfrist für Anwärter verlängert. Experten wie Pfeiffer sagen außerdem, dass bei mehr Polizisten auch mehr Staatsanwälte und Richter beschäftigt werden müssen, denn die Fälle müssen ja bearbeitet werden.