Die Richter in Karlsruhe müssen am 17. Dezember entscheiden, ob die Erbschaftsteuer verfassungskonform ist. Baden-Württembergs Finanzminister Nils Schmid (SPD) will Erben von betrieblichem Vermögen indes auch künftig steuerlich schonen.

Stuttgart - Kurz vor Weihnachten wird es für die Familienunternehmen spannend: Wenn am kommenden Mittwoch die Verfassungsrichter ihr Urteil zur Erbschaftsteuer verkünden, werden nicht nur viele Firmenchefs für einen Moment die Luft anhalten. Die Entscheidung aus Karlsruhe geht fast alle Unternehmen an, denn in Deutschland sind 92 Prozent aller Betriebe in der Hand von Familien. Auch die große Koalition in Berlin sieht dem Termin mit Unbehagen entgegen. Schließlich steht das Erbschaftsteuergesetz auf dem Prüfstand, das die vorige große Koalition 2008 beschlossen hat. Erfahrene Kabinettsmitglieder wissen aus eigenem Erleben, dass das Verfassungsgericht immer für Überraschungen gut ist. Die Regierung will auf jeden Fall verhindern, dass die Karlsruher Entscheidung in der Wirtschaft zu neuer Unsicherheit führt. Die Erbschaftsteuer ist immer auch ein psychologischer Faktor. Der Stuttgarter Rechtsanwalt Brun-Hagen Hennerkes, der als Vorstand der Stiftung Familienunternehmen die Stimmung im Mittelstand kennt, sagt: Falls das Verfassungsgericht die Sonderregeln für Betriebsübergaben kippe, würde dies „Abwanderungseffekte in einem bisher nicht bekannten Ausmaß auslösen“.

 

Die Rede ist von „Überprivilegierung“

Auch wenn Warnungen von Lobbyisten oft dramatisch klingen, steckt hinter den Worten Sorge. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet darüber, ob die Vergünstigungen für betriebliche Vermögen im Erb- oder Schenkungsfall mit dem Gleichheitsgrundsatz im Grundgesetz vereinbar sind. Der Bundesfinanzhof, der die Frage Karlsruhe zur Entscheidung vorgelegt hat, hält die Regelungen für zu weitgehend, die Finanzrichter sprechen von einer „Überprivilegierung“ des betrieblichen Vermögens. Überspitzt lassen sich die komplexen Zusammenhänge auf eine Frage reduzieren: Ist es akzeptabel, wenn Privatleute, die Immobilien oder ansehnliche Aktiendepots vermacht bekommen, Steuern zahlen müssen und Firmenerben nicht? Zwar vertraut die Stiftung Familienunternehmen darauf, dass das Verfassungsgericht bei der Linie früherer Entscheidungen bleibt. Schon in den Urteilen aus dem Jahr 1995 und 2006 kamen die obersten Richter zu dem Schluss, dass der Gesetzgeber Betriebsvermögen schonen darf. Der Gesetzgeber dürfe „Lenkungsziele“ verwirklichen, befanden die Richter 2006. Von Vorteilen bei der Erbschaftsteuer profitieren im Übrigen nicht nur Betriebe. Bei jeder Erbschaft oder Schenkung können Ehegatten und Kinder hohe Freibeträge nutzen.

Die Sonderbehandlung muss aber an Bedingungen geknüpft sein. Die Verfassungsrichter müssen klären, ob die Anforderungen an Firmenerben zu lax sind. Die Signale, die die Richter in der mündlichen Verhandlung im Sommer aussendeten, deuten auf Korrekturbedarf hin – so jedenfalls lautet die vorherrschende Meinung in Kanzleien und Verbänden. Das geltende Gesetz knüpft die Vergünstigung an die Bedingung, dass der Betrieb über einen bestimmten Zeitraum weitergeführt wird und die Zahl der Mitarbeiter stabil bleiben muss. Die Einzelheiten sind im Gesetz definiert.

Die Statistik zeigt, dass es Vorzieheffekte gibt

In der Praxis seien die Bedingungen nicht leicht zu erfüllen, sagt Stiftungsvorstand Hennerkes. So prüft das Finanzamt, ob die Lohnsumme im Betrieb über Jahre hinweg konstant geblieben ist. Maßgeblich ist nur, wie sich Löhne der Mitarbeiter des Unternehmens in Europa entwickelt haben. Gerade die großen Familienunternehmen sind in den vergangenen Jahren vor allem in Asien, Nord- und Südamerika gewachsen. Generell ausgenommen vom Nachweis der Lohnsumme sind Betriebe mit bis zu 20 Mitarbeitern. Diesen Punkt dürften die Verfassungsrichter beleuchten.

Viele Unternehmerfamilien haben sich schon seit Langem auf die Karlsruher Entscheidung vorbereitet. „Natürlich gibt es Vorzieheffekte“, sagt Hennerkes. Das bestätigt auch Arndt Kirchhoff, Mitgesellschafter des Autozulieferers Kirchhoff. Er ist Vorsitzender des Mittelstandsausschusses im Industrieverband BDI. „Wer konnte, hat das geltende Gesetz in Anspruch genommen“, sagt Kirchhoff. Das lässt sich an der Statistik ablesen. Seit 2009 ist das Betriebsvermögen, das auf die nächste Generation übertragen wird, rasant gewachsen: Im Jahr 2012 betrug der Wert 19,4 Milliarden Euro – das ist fast vier Mal so viel wie 2009. Viele Unternehmer wollen auf der sicheren Seite sein.

Es kommt nicht nur auf die Steuern an

Von einer Torschlusspanik in den letzten Wochen sei es aber nichts zu spüren, heißt es in Beraterkreisen. Stiftungsvorstand Hennerkes rät auch davon ab, sich in erster Linie von steuerlichen Überlegungen leiten zu lassen. In vielen Fällen sei beispielsweise eine Schenkung nicht möglich, weil etwa Familienstämme im Clinch miteinander lägen oder die Kinder noch zu klein seien. Mit der Übertragung zögern Familienunternehmer auch dann, wenn es dem Betrieb nicht so gut geht. Für viele Unternehmer kommt es somit darauf an, was Karlsruhe für die Zukunft vorgibt. Jährlich steht in Deutschland für 27 000 Familienunternehmen die Nachfolge an.

Für die Firmeneigentümer und deren Nachkommen stellt sich dann die Frage, ob sie die Erbschaft- oder Schenkungsteuer zahlen können. „Familienunternehmen sind anders zu bewerten als Dax-Konzerne, denn bei ihnen wird das Kapital nicht aus dem Unternehmen abgezogen“, gibt Peer-Robin Paulus, Steuerexperte des Verbands Die Familienunternehmer, zu bedenken. Über Gesellschafterverträge bleibe das Kapital über Generationen hinweg im Unternehmen gebunden, sagt Paulus. Es sei deshalb richtig, wenn der Gesetzgeber dies mit steuerlichen Vergünstigungen honoriere. Käme es zu Änderungen, befürchtet Paulus Verhältnisse wie in den USA. Dort liege die Hemmschwelle für einen Unternehmensverkauf niedriger. Die Steuerprivilegien für Firmenerben sind auch keine deutsche Erfindung. Vergünstigungen bei Betriebsübergaben gibt es auch in Großbritannien, Frankreich und Spanien.

Die SPD betrachtet die Reform als ihren Erfolg

Für eine milde Besteuerung bei Betriebsübergaben sieht Peter Bartels, Vorstand beim Beratungsunternehmen PWC, auch noch einen anderen Grund. In vielen kleinen und mittleren Betrieben reichten die Gewinne gerade aus, um eine attraktive Vergütung für den Geschäftsführer zu zahlen. Häufig fehlten Rücklagen, sodass bei einer hohen Steuerlast im Erbfall der Betrieb verkauft werden müsste.

Die Argumente der Wirtschaft finden in der Politik Gehör. Der baden-württembergische Finanzminister Nils Schmid (SPD) sagt, die bisherigen Regeln hätten sich bewährt. „Entscheidend ist, dass auch künftig eine Verschonung von Betriebsvermögen bei der Erbschaftsteuer möglich ist.“ Der Sozialdemokrat sieht es als Erfolg an, dass der frühere Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) die Sicherung von Arbeitsplätzen zur Voraussetzung für Steuerermäßigungen machte. Als Land des Mittelstands habe Baden-Württemberg ein existenzielles Interesse, dass für die Unternehmensnachfolge auch künftig erträgliche Bedingungen gälten. Das sei auch im Sinne der Arbeitsplätze. „Die meisten Familienunternehmen denken nicht in Quartalen, sondern in Generationen“, sagt Schmid der Stuttgarter Zeitung. Dies solle steuerlich honoriert werden. „Es muss auch in Zukunft möglich sein, dass derjenige, der Unternehmen und Arbeitsplätze langfristig sichert, anders behandelt wird als derjenige, der auf Kosten der Beschäftigten schnellen Reibach macht“, meint Schmid. Ähnliche Töne kommen auch aus der Union. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion will Belastungen für Familienunternehmen vermeiden.

Drei Jahre Reformarbeit

Auch wenn die Wirtschaft die Signale aus der Politik mit Erleichterung aufnimmt, bleibt Ungewissheit. Der letzte Anlauf zur Erbschaftsteuerreform zog sich über drei Jahre hin. Beim Jobgipfel im Jahr 2005 hatte Exkanzler Gerhard Schröder (SPD) eine Reform angekündigt. Weil die Union immer wieder Nachbesserungen zugunsten der Wirtschaft forderte, zogen sich die Verhandlungen hin. Das Erbschaftsteuergesetz trat dann 2009 in Kraft. Die Gesetzesberatungen im November 2008 waren von großem Zeitdruck beherrscht, weil die CSU in letzter Minute Sonderwünsche anmeldete. Der Bundesinnenminister war damals in der Regierung für die verfassungsrechtliche Prüfung zuständig. Er hieß seinerzeit Wolfgang Schäuble (CDU). Als Finanzminister bekommt er nun die Folgen zu spüren.

Die Erbschaftsteuer fließt zwar allein den Ländern zu. Für eine Neuregelung ist aber der Bund zuständig. Im vergangenen Jahr entsprach das Aufkommen mit knapp fünf Milliarden Euro der Hälfte der Einnahmen aus der Versicherungssteuer. Immer wieder gibt es Forderungen, die Steuer nach österreichischem Vorbild abzuschaffen. Doch die Politik wird auf die Einnahmen nicht verzichten.