Stuttgart hatte ein großes Netz von Luftschutzräumen, die teilweise zu besichtigen sind. Ein Besuch im Feuerbacher Bunker.

Stuttgart - Es sind stumme Zeitzeugen, auf die man in den 150 Quadratmeter umfassenden Räumen im Stollen unter der alten Unterführung am Wiener Platz in Feuerbach stößt. Mal anklagend, mal zynisch, mal informativ wirken sie auf die Besucher der Führung mit dem Thema „Flak – Tarnen und Täuschen – Stollenbau“. Man kann nur erahnen, wie sich die Menschen in Stuttgart damals gefühlt haben in den letzten beiden Kriegsjahren, als die Stadt von Briten und Amerikanern aus der Luft attackiert wurde, um die Zivilbevölkerung zu demoralisieren.

 

„Es war uns immer ein großes Anliegen, die Folgen von Krieg und Tyrannei sachlich und neutral aufzuzeigen und das Leid den Besuchern ins Bewusstsein zu bringen“, sagt Rolf Zielfleisch vom Verein Schutzbauten Stuttgart. Seit 16 Jahren führt der 66-Jährige Interessierte durch den Untergrund. Der frühere Druckingenieur hat mit seinen Mitstreitern über 300 Exponate aus dem Zweiten Weltkrieg gesammelt und weiß vieles über Flugabwehrkanonen (Flak), den Bau und die Ausstattung von Bunkern und Stollen, Belüftungsanlagen und wie die Löschteams bei Angriffen gearbeitet haben.

Viele Flieger stürzten über Waldenbuch ab

Die Ausstellung erlaubt einen ständigen Perspektivwechsel. Sie zeigt einerseits die warmen Uniformen der jungen amerikanischen Piloten, die selbst Angst vor ihren Einsätzen hatten. Und wenn sie einmal getroffen wurden, kamen sie nur noch schwer aus den engen Luken ihrer Maschinen heraus. Viele stürzten über Waldenbuch ab. „Hier finden Förster immer noch Trümmerteile aus der Zeit“, sagt Rolf Zielfleisch.

Andrerseits kann man sich auch hineinversetzen, welche Ängste die Stuttgarterinnen und Stuttgarter ausgestanden hatten, wenn die B17-Bomber in Formation am Himmel wie bedrohliche Schatten über die Stadt flogen. Insgesamt 53 Luftangriffe wurden auf Stuttgart geflogen, 4600 Menschen starben – das entsprach rund einem Prozent der Bevölkerung.

20 000 Tote in einer Nacht in Pforzheim

In Pforzheim hingegen starben in einer einzigen Nacht 20 000 Menschen, weil es keine Flak gab. In Stuttgart waren sie an rund 20 Stellen im Einsatz, wie man auf einer Karte sehen kann. Im April 1943 war Gaisburg ein Ziel der Alliierten. Hier befand sich auch ein Gefangenenlager mit Franzosen und Russen. Und es wirkt nahezu zynisch, dass die feindlichen Soldaten für die Stuttgarter Bevölkerung als Zwangsarbeiter Schutzräume gebaut hatten, aber nicht hineindurften als die Bomben flogen. 600 sind umgekommen.

Überhaupt reichten die rund 47 Bauten für den Zivilschutz für rund 75 000 Menschen bald nicht mehr aus. Deshalb wurden 400 sogenannte Pionierstollen aus Holz gebaut. Weil die Männer im Krieg waren, mussten die Frauen die schwere Arbeit leisten. Es war eine doppelte Belastung, denn tagsüber schufteten sie in den Munitionsfabriken und nachts gruben und buddelten sie in den Tunneln.

Den Gaskessel eine Tarnbemalung verpasst

„Es ist schon unglaublich, was das Naziregime den Menschen zugemutet hat. Es sind spannende Fakten, die man hier erfährt“, sagt Reinhard Ruber aus Wernau. Die Führung ist ein Geburtstagsgeschenk seiner Frau. 315 dieser Pionierstollen wurden ausfindig gemacht. Ein Großteil ist aufgefüllt, verfallen oder nicht mehr zugänglich.

Rolf Zielfleisch erzählt aber auch von den Strategien der Kriegsparteien, die sich dank neuer Techniken wie Radar immer wieder neu aufgestellt hatten, um Angriffe zu fliegen oder abzuwehren. Eindrucksvoll ist auch ein Foto vom Gaskessel, den ausgerechnet der Maler Oskar Schlemmer, dessen Kunst im Dritten Reich als „entartet“ diffamiert wurde, mit Landschaften und Häusern gestaltet hat, damit er aus der Luft nicht erkennbar war. Geholfen hat es nicht - er wurde zerstört, wie auch die vielen Häuschen, deren Dächer mit Feldern bemalt worden sind. Man erfährt und sieht auch, mit welchen Lüftungssystemen oder Toiletten die Schutzräume ausgestattet waren.

Besucher sind am Ende beeindruckt und betroffen

Nach rund 75 Minuten verlassen die meisten Besucher beeindruckt und bisweilen betroffen die Ausstellung. „Und wenn das so ist, haben wir alles richtig gemacht“, sagt Zielfleisch und man spürt, wie viel dem Feuerbacher diese Form von Erinnerungskultur bedeutet. Drei Bücher hat er schon geschrieben. 120 Mitglieder hat der Verein – mit einem Altersdurchschnitt von 45 Jahren. Es sind also auch viele junge Leute dabei, die das Wissen über diese Zeit bewahren wollen. Das macht ihn glücklich.

Weniger angenehm ist die ständige Auseinandersetzung mit der Stadtverwaltung, die ihn immer wieder in seiner Arbeit behindere, wie er sagt. Unterstützung hingegen finde er beim Landesdenkmalamt. Das begrüßt auch Reinhard Ruber, der es plötzlich eilig hat – schließlich findet jetzt im Tiefbunker noch eine Führung zum Thema „Luftschutz im Kalten Krieg“ statt.