Jahrhundertelang ist die Burg Reußenstein unbewohnt gewesen. Jetzt gibt es Nachmieter. Handwerker retten das Gemäuer vor dem Verfall.

Neidlingen/Wiesensteig - Dirk Jäger hat wahrscheinlich noch nie etwas von Ludwig Helferich von Reußenstein gehört. Dabei ist der auf die Sanierung alter Gemäuer spezialisierte Polier der Leonberger Firma Wolfsholz legitimer Nachfolger des Grafen: Helferich von Reußenstein, der zu Beginn des 16. Jahrhunderts lebte, gilt als der letzte Bewohner der Ende des 13. Jahrhunderts gebauten Burg. Seit zwei Wochen haben Jäger und seine drei Mann starke Sanierungstruppe in bester Höhenlage über dem Neidlinger Tal Quartier bezogen. Sie reparieren die Schäden, die Wind und Wetter seit dem Auszug des Grafen vor 500 Jahren angerichtet haben.

 

Risse in der Südwand

Beim Burgherren, dem Landkreis Esslingen, haben sie die Alarmglocken läuten lassen. Bei der jährlichen Sicherheitsbegehung war eine lange Schadensliste erstellt worden, die einen sofortigen Handlungsbedarf nahelegt: Die Südwand der 760 Meter hoch gelegenen Ruine unweit des geplanten Baumwipfelpfads weist starke Risse auf, die Mauerkrone ist überwachsen, die Kronenkanten lösen sich auf und drohen abzustürzen. Zudem könnte durch die Risse eindringendes Wasser den Mörtel auswaschen. Dies könnte dazu führen, dass der Frost im Winter das Mauerwerk sprengt.

Bis Dezember, dem voraussichtlichen Ende der Sanierungsarbeiten, werden Jäger und seine Helfer rund 350 Injektionslöcher gebohrt haben und die Hohlräume in dem bis zu 1,60 Meter mächtigen Mauerwerk verfüllt haben. Danach wird die Wand mit Stahlnadeln gesichert. Zusätzlich sorgen vier jeweils 15 Meter lange Spannanker dafür, dass die 21 Meter breite und 15 Meter hohe, zum Tal hin weisende Südwand nicht auseinanderdriftet. Um den in luftiger Höhe befindlichen Arbeitsplatz überhaupt zu erreichen, ist die Schauseite der Burg eingerüstet worden. Allein der Bau des zehnstöckigen Gerüsts ist eine Herausforderung gewesen.

Kompliment für die Handwerkskunst

Die Handwerkskunst, mit der vor mehr als 700 Jahren in dieser exponierten Lage gebaut worden war, nötigt Dirk Jäger jedoch ebenfalls höchsten Respekt ab. „Die haben genau gewusst, was sie machen“, sagt der Polier angesichts der massiven Kalksteinmauer, der eine Tuffsteinfassade vorgesetzt worden war. Obwohl auch Jäger kein Anfänger ist und in seiner langen Berufslaufbahn der Burg Hohenneuffen oder dem Esslinger Amtsgericht zu neuer Standfestigkeit verholfen hat, will er die Hand nicht dafür ins Feuer legen, dass die Burgmauern nun wieder für Jahrhunderte dem Zahn der Zeit trotzen.

450 000 Euro ist dem Kreis Esslingen die Sanierung seiner höchsten Kreisliegenschaft wert. Unterm Strich wird die Kreiskasse jedoch lediglich mit einem Betrag von 150 000 Euro belastet. Der Rest fließt aus verschiedenen Fördertöpfen, vom Bund, vom Land und von der Denkmalstiftung Baden-Württemberg.

Burg mit vielen Herren

Die Burg Reußenstein hat im Laufe der Jahrhunderte weit mehr als ein Dutzend Mal den Besitzer gewechselt. Zuletzt, im Jahr 1964, kaufte sie der damalige Landkreis Nürtingen, ungeachtet ihres Standorts im Kreis Göppingen, der Württembergischen Hofkammer ab. Mit der Kreisreform im Jahr 1973 ging die Anlage, ebenso wie die Sulzburg bei Unterlenningen, an de Kreis Esslingen über. Obwohl nicht bewirtschaftet, gilt die malerische Ruine als eines der beliebtesten Ausflugsziele auf der Schwäbischen Alb.