Wer hat Marilyn Monroe wirklich auf dem Gewissen? Die Hollywood-Ikone starb unter nie geklärten Umständen am 5. August 1962. In Stuttgart am Alten Schauspielhaus präsentieren der Intendant Manfred Langner und sein Regisseur Ulf Dietrich dazu eine ganz eigene Theorie: in „Bye bye, Baby“, einem Schauspiel mit Musik.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Wie und warum starb irgendwann in der Nacht vom 4. auf den 5. August 1962 Marilyn Monroe? Als Schlusspunkt seiner neunjährigen Intendanz an den Schauspielbühnen Stuttgart vermacht Martin Langner nun gemeinsam mit seinem Oberspielleiter Ulf Dietrich dem Alten Schauspielhaus ein Stück zum Todesfall, zum Mysterium. „Bye bye, Baby“ heißt ihr „Schauspiel mit Musik“, das am Freitag seine Uraufführung feierte. Wobei „Musik“ eben die durch sie berühmt gewordenen Filmsongs der Monroe sind, die einem noch heute nach zwei Takten sofort in den Ohren klingeln, von „Diamonds are a Girl’s best Friend“ über „My Heart belongs to Daddy“ bis just eben „Bye bye, Baby“. Während das drumherum gestrickte Schauspiel nun nicht etwa das ganze Leben der Künstlerin nachzuerzählen versucht, sondern sich ganz auf die Geschehnisse ihres letztes Lebenstages konzentriert, auf jenen 4. August 1962.

 

Und tatsächlich sind all die bekannten Details rund um Monroes tragischen Tod im Alter von gerade mal 36 Jahren in ihrem Zusammentreffen so haarsträubend bizarr, dass man beim Kopfschütteln über die nachfolgende Saumseligkeit der Polizei bei der Aufklärung der genauen Umstände des Falls tatsächlich schnell ins Spintisieren kommt über die möglichen dubiosen Hintergründe. In ihren letzten Lebensstunden spitzten sich nicht nur die Konflikt der Monroe mit ihrem Psychoanalytiker Ralph Greenson und mit den Produzenten des Hollywoodstudios Fox zu, es gab wohl auch Besuch von und Telefonate mit Robert Kennedy, dem Bruder des US-Präsidenten John F. Kennedy. Gestorben ist die Monroe schließlich an einer Kombination von zwei Schlafmitteln, von denen man aber nicht weiß, wie zumindest das zweite eigentlich in ihren Körper gelangte. Versuche der Gerichtsmedizin, dies zu klären, scheiterten am Verschwinden entsprechender Gewebeproben und am zügigen Einstellen aller Ermittlungen durch das FBI. So blieb als offizielle Todesursache: Selbstmord.

Überraschend karg, geradezu ein wenig sperrmüllig ist das Wohnzimmer der Schauspielerin, das dem Zuschauer zu Beginn des Stuttgarter Stücks nun entgegenrollt (Bühne: Martina Lebert). Und auch sonst bietet der Abend in der Inszenierung von Ulf Dietrich abgesehen von ein paar Shownummern wenig Hollywood-Glamour. Stattdessen erleben wir dichtes Psychodrama, einen konzentriert gespielten kleinen Alltagskrieg zwischen einer Schauspielerin und ihrer Umgebung, den man sich in Schwarzweiß und etwas eingedampft auch als US-Beziehungsmelodram aus den frühen 60ern vorstellen könnte.

Wer sind die Guten, wer die Bösen? Das bleibt erstmal offen

Wobei die größte Stärke dieses Abends darin besteht, dass wie in den besten Filmen jener Jahre auch hier lange Zeit völlig offen bleibt, wie denn nun Recht und Unrecht verteilt sind. Will der Psychiater (Ernst W. Lenik) in Kombi mit der hornbrilligen Haushälterin (Heike Schmidt) wirklich Macht über die Monroe ausüben, oder ist er einfach nur um ihr Wohl besorgt? Will die Pressereferentin Pam (Judith Guntermann) ihrer Freundin wirklich helfen, den nächsten Schritt in ihrer Künstlerkarriere zu meistern, oder will sie schlicht aus eigenem Interesse eine sensationelle Nachricht lancieren – zum Beispiel jene, dass am Morgen ein teures Präsent aus dem Weißen Haus geliefert wurde? Und ist Marilyn Monroe wirklich gerade etwas klarer im Kopf und will sich von ihren Tabletten endlich emanzipieren? Oder ist sie schlicht und einfach so hysterisch und durchgeknallt, wie alle Regisseure, die jemals mit ihr zusammengearbeitet haben, wehklagen, und sollte bitte schnell runterschlucken, was der Doktor ihr als Dosis mundgerecht serviert?

Weil dieser Theaterabend tatsächlich wie ein Kriminalstück funktioniert und insbesondere nach der Pause an Spannung noch gewinnt, werden all diese Fragen hier nicht beantwortet. Immerhin, die Autoren des Abends entscheiden sich tatsächlich zum Schluss für eine der möglichen Verschwörungstheorien und sorgen damit sicher bei den Zuschauern auf deren Heimfahrt für angeregte Diskussionen. Und das kann ganz sicher nicht jeder Theaterabend von sich behaupten.

Indes, so ganz geht die Rechnung bei diesem Stück dann aber nicht auf. So spannend die Geschichte erzählt wird – die eingestreuten Marilyn-Songs wirken darin wie Fremdkörper, die mit ihrer Naivität, ihrer Frechheit, ihrer Laszivität oder ihrem Witz mit dem Rest des Geschehens ziemlich unverbunden bleiben. Was soll dieser Abend nun sein: glamouröse Show? Oder Psychostudie? Um hier „Schauspiel“ und „Musik“ wirklich zusammenzubringen, hätte es zum Finale zweifellos noch eines kleinen Inszenierungscoups bedurft. So wirken die Fäden eher unverknüpft.

Eine gute Alternative zum täglichen Fußball-Theater

Dieses von der Regie bescherte Problem sollte dann Hauptdarstellerin Regina Gisbertz lösen, die in ihrem Spiel als Marilyn glänzt und jederzeit restlos überzeugt – und die auch in den Shownummern eine gute Erscheinung macht, aber dort doch stets ein wenig gebremst und reserviert wirkt. Es fehlt zum Show-Schluss nicht viel an Druck, aber doch ein wenig. So ist der Beifall des Publikums lang und sehr lebhaft, aber eben nicht jubelnd.

Ein interessanter Theaterabend, der nun bis Mitte Juli im Alten Schauspielhaus für all jene bereit steht, die nicht immer nur an ihren Glotzen dem Fußball-Theater in Russland folgen wollen. Manfred Langner und Ulf Dietrich haben zweifellos viel recherchiert, bevor sie dieses Stück geschrieben haben. Die Geschichte, die sie erzählen, ist interessant. Aber warum überhaupt diese junge, auf blond getrimmte Frau zum Idol und zur globalen Projektionsfläche der Männer werden konnte (dies im Übrigen ja offenbar bis zum heutigen Tag), und ob Norma Jeane Baker, wie sie eigentlich hieß, jemals die Chance gehabt hätte, dem etwas Eigenes entgegenzusetzen – diese Geschichte erzählt auch „Bye bye, Baby“ nicht. Obwohl es vielleicht das noch interessantere Phänomen wäre. Man sieht: das Mysterium lebt weiter.