Vladimir Ashkenazy, 82 Jahre alt, Pianist und Dirigent von Weltruhm, hört am Wochenende auf, öffentlich zu spielen. Das ist nicht die Regel im Klassikgeschäft, sondern eine noble Ausnahme.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Stuttgart - Manche Musiker fällt das Schicksal (oder wer immer da fällt) binnen Sekunden. Vor ein paar Tagen traf es den Country-Gitarristen David Olney, geboren in Nashville, hoch geschätzt von Kollegen wie Townes Van Zandt, Linda Ronstadt und Emmylou Harris, als er in Florida ein Konzert spielte: Herzinfarkt mit 71 Jahren. Viel früher, nämlich mit 55 und 60 Jahren, starben, beide Male seinerzeit in München, die Dirigenten Felix Mottl und Joseph Keilberth. Der eine, 1911, wie der andere, 1968, befand sich mitten im zweiten Aufzug von Richard Wagners „Tristan und Isolde“, wo heftig darum gestritten wird, ob der Tod nicht das bessere Leben sei. Seltsam genug.

 

Auswendig abrufen

In der Regel jedoch haben Musiker, die so genannte klassische Musik interpretieren, eine gute Chance, alt zu werden: So Solisten und Dirigenten, brauchen sie einen besonders langen Atem und Athletik. Zudem ist das Gehirn ständig gefordert, viele Dinge wollen auswendig abgerufen und dann neu interpretiert werden. Tatsächlich sind vornehmlich Dirigenten auf eine hohe Lebenserwartung geradezu abonniert: Michael Gielen, Sir Georg Solti, Günter Wand, um nur ein paar zu nennen, kamen weit in ihre achtziger und neunziger Jahre. Bei Pianisten (Vladimir Horowitz) ist es ähnlich. Und wenn Musiker aufhören – bei Rockmusikern bahnen sich (Bob Dylan, Rolling Stones) Parallelen an – vollzieht sich das meistens im Rahmen von Never Ending Tours.

Nobler Interpret

Es geht aber auch anders. Diskret, wie er gelebt und gespielt hat, lässt der russische Pianist und Dirigent Vladimir Ashkenazy, 82 Jahre alt, ankündigen, dass er sich zurückziehe – am Wochenende ist Schluss. Ashkenazy gewann 1956 in Brüssel beim Concours Reine Elisabeth seinen ersten großen Preis und reiste fortan durch die Welt mit stets noblen Interpretationen von, vorzugsweise, Chopin oder Beethoven. Der Kritiker Joachim Kaiser bescheinigte Ashkenazy oft, „ausgefeilt, aber seelisch zu ausgeglichen“ zu spielen. Darüber wäre immer noch zu streiten. Zumal es natürlich sein könnte, dass eben jene seelische Ausgeglichenheit Ashkenazy den richtigen Moment hat finden lassen, ganz leise Adieu zu sagen, pianissimo und blinzelnd mit Bach, sozusagen: Es ist genug.