Das 69. Filmfestival von Cannes ist mit Woody Allens „Café Society“ eröffnet worden – einer Liebeserklärung ans Kino und das Hollywood der goldenen Ära, in der Bezüge zur jüdischen Herkunft des Regisseurs dominanter sind denn je.

Cannes - Ein scharfer Wind tobt immer wieder durch die Gassen von Cannes, ganz so, als wollte er die Legende von der warmen und sonnigen Côte d’Azur entkräften. Auf der Croisette stemmen sich Passanten mit Schirmen der Natur entgegen.

 

Erst vor wenigen Wochen wurde hier der schreckliche Ernstfall geprobt – ein Terroranschlag auf das 69. Filmfestival von Cannes. Das könnte als dekadent-glanzvolles Zentralereignis der Weltfilmbranche ein mögliches Ziel militanter Fundamentalisten sein. Französische Anti-Terroreinheiten, Polizei, Nationalgarde trainierten bei einer simulierten Attacke. Beruhigend wirken die Berichte darüber jedenfalls nicht, wenn man im Pulk auf Einlass wartet zum neuen Film von Woody Allen.

Zum dritten Mal eröffnet der 80-jährige US-Amerikaner das Festival – Filmfestspiele könnten gewiss schlimmer beginnen! „Café Society“, produziert mit den Amazon Studios, läuft außer Konkurrenz. Diese Tatsache belegt neben dem greisen Alter des Künstler den Klassikerstatus, den Allen längst erreicht hat. Er glaubt ohnehin nicht an Wettkämpfe in der Kunst: „Das ist nur etwas für den Sport“, sagte der kleine und – ungeachtet seiner vier Oscars – bescheiden wirkende Mann während der Pressekonferenz. Allen muss nichts mehr beweisen, geschweige denn mit anderen wetteifern.

Der Kern ist eine romantische Komödie

Die Kehrseite: Man erwartet auch nichts mehr von Woody Allen, außer dass er eben sein Ding macht. Das tut er auch in „Café Society“ – und bleibt hier in der Inszenierung doch unter den eigentlich nicht mehr vorhandenen Erwartungen. Er erzählt die Geschichte eines guten, jüdischen Jungen aus der Bronx in den 1930ern. Bobby Dorfman (Jesse Eisenberg) mag nicht ins Juwelengeschäft seiner Familie einsteigen und geht nach Los Angeles, wo sein Onkel Phil Stern (Steve Carell) als Hollywood-Agent erfolgreich ist, aber keineswegs erpicht auf den Neffen. Also vertraut er Bobby seiner aparten Sekretärin Vonnie an (Kristen Stewart gilt schon als Allens neue Muse), die ein Verhältnis mit dem seit 25 Jahren verheirateten Phil hat. Während sich Bobby flugs in Vonnie verliebt, ist sein Onkel hin- und hergerissen, zu feige, seine Frau zu verlassen. Zwischen ihnen scheint die junge Vonnie so gut wie gefangen.

Der Kern von Woody Allens neuem Film ist also eine romantische Komödie. In der Westküsten-Dreiecksbeziehung steht mal der eine und mal der anderer Mann als lustig ahnungslos da, bis alles auffliegt wegen eines handgeschriebenen Liebesbriefs der Stummfilmlegende Rudolfo Valentino. Um diesen Kern gruppiert der Regisseur Figuren und Nebenhandlungen, mit denen er quasi eine Klischeegeschichte der damaligen Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg anreißt, vor allem aber des populären Bilds von den Juden.

So lässt er etwa die Männer der Familie einschlägig ethnisch zugeschriebene „Laufbahnen“ einschlagen: Neben dem Künstler-Agenten erleben wir auch einen philosophisch veranlagten Kommunisten und einen Gangster, der offiziell freilich einen Nachtclub betreibt und eventuelle zwischenmenschliche Probleme skrupellos mit Revolver und Betonmischer löst. Erwähnt werden sollte auch der quasi lebensuntaugliche Vater Bobbys, der ständig von seiner Ehefrau – Inbegriff einer jüdischen Mamme – kritisiert wird.

Film als Kunst feiern

Die meisten dieser Aspekte von Rollen und Realität werden relativ statisch verhandelt; die Figuren sagen ihren Text gewissermaßen auf. Dennoch ist das interessant, denn das Jüdisch-sein spielte zwar wiederholt eine Rolle in Woody Allens Filmen, aber wohl nie fanden ernst gemeinte oder auch satirische Bezüge zur ethnischen Herkunft des Regisseurs so dominant wie hier Eingang in die Fiktion. „Wir kontrollieren einfach alles!“, kommentiert Bobby einmal in einem anderen Kontext, aber das ist ebenso interpretationsoffen, wie die vielen ins Drehbuch eingestreuten Bonmots eindeutig sind. Bobbys Mutter bemerkt, dass „das Judentum gewiss mehr Kundschaft hätte, wenn diese Religion ein Leben nach dem Tode vorsehen würde“. Tut das Judentum aber nicht, weswegen es ein anderes Mal folgerichtig heißt: „Lebe jeden Tag wie deinen letzten – eines Tages wirst du Recht damit behalten!“

Natürlich ist dieser Eröffnungsfilm des 69. Festivals von Cannes auch eine Liebeserklärung ans Kino, vornehmlich ans Hollywood der goldenen Ära. Mit dem auch Festival-Macher kein Problem haben, deren Verhältnis als Vertreter einer großen Filmnation zur US-Kinematografie durchaus heikel ist. Immer wieder schickt Allen seine Protagonisten in Lichtspielhäuser, die sich damals als veritable Paläste präsentierten. Immer wieder sehen wir Stars der 1930er ausschnittweise auf Archivmaterial, vom Name-Dropping in Phil Sterns Kreisen ganz zu schweigen. Ausgesuchte A-Prominenz schmückte am Mittwoch auch den ersten roten Teppich dieses Festivals, dessen Aufgabe es ist, den Film als Kunst zu feiern und dabei die Augen offen zu halten für das, was in der Welt geschieht.