Glamourös wie kein anderes cineastisches Spektakel beherrscht das Filmfestival Cannes den Spagat zwischen Kunst und Kommerz. Jetzt werden im Süden Frankreichs wieder die roten Teppiche ausgerollt. 1.869 Filme haben sich in diesem Jahr beworben – ein neuer Rekord.

Cannes - Am Mittwoch öffnet sich in Cannes wieder elf Tage lang der Vorhang zum weltweit wichtigsten Filmfestival. Zum 69. Mal werden an der Côte d’Azur die roten Teppiche ausgerollt für ein cineastisches Spektakel, das so glamourös wie kein anderes den Spagat zwischen Kunst und Kommerz beherrscht. 1869 Filme haben sich in diesem Jahr beworben, ein neuer Rekord, ebenso wie die Zahl der 4600 Medienvertreter, wie das Festival frohlockend vermeldet. Den Zuschlag für das Rennen um die Goldene Palme bekamen einmal mehr vorzugsweise verdiente Veteranen sowie ehemalige Preisträger.

 

Auch der Louvre hänge ja nicht seine Alten Meister ab, um sich neu zu erfinden, ließ Cannes Chef Thierry Frémaux verlauten. Zum festen Kreis der Festival-Stammgäste zählen Pedro Almodóvar (zum vierten Mal dabei), Jim Jarmusch (sein sechster Auftritt), die belgischen Brüder Dardenne (zum siebten Mal) und der Brite Ken Loach, der es mit seinen 79 Jahren auf stolze sechzehn Festival-Auftritte bringt.

Als Clown in der Seniorenmannschaft erhält der 80-jährige Woody Allen zum nunmehr, gleichfalls ein Rekord, dritten Mal die Ehre der Eröffnung: Sein „Café Society“ platziert, starbesetzt mit Kristen Stewart und Jesse Eisenberg, eine Romanze im New York der 1930er Jahre. Der Altmeister gibt sich dabei, zumindest was die Finanzierung anlangt, ausgesprochen modern. Statt auf traditionelle Hollywood-Studios setzt er auf einen der aktuell sehr angesagten Streaming-Anbieter, die die Kreativen mit künstlerischer Freiheit und großen Budgets locken.

Die Deutsche Maren Ade hofft auf Gold

Bei ambitionierten Serien ging das globale Video-on-demand-Geschäftsmodell von Amazon, Netflix und Co. längst auf, nun greift man nach renommierten Autorenfilmern. Gleich fünffach ist Amazon im offiziellen Programm dabei - so viel Präsenz ist selbst Traumfabrik-Platzhirschen wie den Weinstein-Brüdern, den Entdeckern von Tarantino, mit ihrem berüchtigten Marketing-Getöse nie gelungen. Neben Woody Allen segeln auch der südkoreanische Regiestar Park Chan-wook sowie der dänische Kultfilmer Nicolas Winding Refn unter der Amazon-Flagge im Wettbewerb.

Thematisch bestimmen die Suche nach Identität und einer lebenswerten Existenz den diesjährigen Jahrgang, Fragen nach individueller Schuld und Sühne liegen gleichfalls im Trend. Billige Provokationen – wie im Vorjahr mit dem läppischen und komplett durchgefallenen 3-D-Porno „Love“ – sind gestrichen, dafür glänzt die Statistik diesmal mit einer Frauenquote von 20 Prozent im Gesamtprogramm. Allein im Wettbewerb sind, fast sensationell, gleich drei Regisseurinnen vertreten. Neben der Britin Andrea Arnold sowie der Französin Nicole Garcia hofft die Deutsche Maren Ade auf Gold - bislang gelang nur Jane Campion solch ein weiblicher Triumph in der Geschichte des Festivals.

Schlöndorff und Wenders gratulieren

Mit dem Drama „Toni Erdmann“ erzählt Ade in 160 Minuten die Vater-Tochter-Geschichte zwischen einer verbissenen Karrierefrau (Sandra Hüller) und ihrem entspannten Alt-68-er Papa (Peter Simonischek). Immerhin acht Jahre ist es her, seit mit „Palermo Shooting“ von Wim Wenders ein deutscher Film im Wettbewerb vertreten war. Die schwarz-rot-goldene Statistik sieht traditionell trübe aus: In drei Jahrzehnten schafften es lediglich zehn Deutsche in das Palmen-Rennen. Volker Schlöndorff und Wim Wenders hätten telefonisch zu der Entscheidung gratuliert, gibt Festival-Direktor Frémaux zu Protokoll.

Und: Er gönnt der Berlinale-Gewinnerin Maren Ade („Alle Anderen“) mit dem Samstagabend sogar einen überaus attraktiven Platz im Programm. Entsprechend stolz hat sich „German Films“, die Vermarktungsorganisation des deutschen Films, für ihre traditionellen Party einen neuen Standort gesucht. Statt wie bislang eher schnöde am Strand werden die 700 Gäste in die ziemlich schicke Villa Rothschild geladen - Sponsoren machen’s möglich. Mit dabei sind, „um die Gesichter des deutschen Kinos international zu repräsentieren“, auch Daniel Brühl, Julia Jentsch und „Games of Thrones“-Star Tom Wlaschiha. Klotzen statt kleckern gehört schließlich zum Handwerk in Cannes.