Zum Wasen-Abschluss wurden zwar keine neuen Rekorde gemeldet. Das Volksfest in Stuttgart verlief für Schausteller, Wirte und Veranstalter aber sehr zufriedenstellend. Die Kehrseite: Polizei und Rotes Kreuz hatten deutlich mehr Einsätze zu vermelden.

Stuttgart - Wie sich die Zeiten ändern. Vor zwei Wochen waren die Verantwortlichen der Veranstaltungsgesellschaft In Stuttgart mehr als zuversichtlich, einen ganz heißen Rekord-Wasen aufs Parkett zu legen: Tag der Deutschen Einheit, Brückentag, die Wetter-Aussichten prächtig – es schien nur eine Frage der Zeit, wann die magische Vier-Millionen-Besucher-Grenze geknackt werden würde. Auch zur Halbzeit waren die Wasserstandsmeldungen euphorisch, zehn Prozent liege man über dem Vorjahr, der Boom sei ungebrochen, der Wasen in wie nie. Manch einer fühlte sich angesichts des Stakkatos guter Nachrichten fast wie im Film.

 

Bei der Abschlusspressekonferenz der Wasen-Beteiligten am gestrigen Freitag waren die Töne dann bei aller Zufriedenheit eine Spur nachdenklicher. Sicherlich: Sowohl die Wirte als auch die Marktkaufleute und Schausteller sowie der Veranstalter bewerten das 168. Cannstatter Volksfest positiv. „Zur Halbzeit hatten wir das beste Fest seit 2005“, sagt Andreas Kroll, Geschäftsführer der In Stuttgart. „Bis zum Ende am Sonntag werden wir sicherlich 3,5 Millionen Besucher haben, für vier Millionen wird es aber nicht reichen.“

Schere zwischen Zelten und Schaustellern klafft auseinander

Joachim Hohl, Erster Vorsitzender des Schaustellerverbandes Südwest, warnte bei der Gelegenheit davor, immer nur nach neuen Rekord-Zahlen zu streben. „Ein guter Wasen macht sich nicht nur an der Besucherzahl fest. Je nach Branche fallen die Umsätze leider immer unterschiedlicher aus“, sagte Hohl.

Hohl spielte damit darauf an, dass die Schere zwischen Festzeltwirten und Schaustellern immer weiter auseinanderklafft: Währen die Zelte vor allem junge Besucher scheinbar magisch anziehen, haben gerade die kleineren Betriebe im Schatten der Festzelte enorm zu kämpfen. „Wenn es so weitergeht, brechen uns die Kinder- und Familienfahrgeschäfte weg“, sagt Gilbert Kräupel, Betreiber des Café Grell. „Die Tendenz geht in die falsche Richtung. Wenn wir nur noch Ballermann machen, ist das Fest irgendwann kaputt.“

Beim Thema Vorglühen sind alle Beteiligten ratlos

Werner Klauß, Sprecher der Festwirte, sieht die Entwicklung naturgemäß ein wenig anders: „So stark im Aufwind, wie alle denken, sind wir nicht. An Sonntag- oder Montagabenden haben wir Probleme, die Zelte auszulasten. Und dass hier schon ab mittags Ballermann-Stimmung herrscht, stimmt so auch nicht.“

Damit hatte Werner Klauß wiederum Recht, allerdings ungewollt. Der Ballermann beginnt auf dem Wasen nicht erst Mittags, sondern oft bereits am Vormittag. Wer zum Beispiel am Brückentag nach der Einheitsfeier um 10.30 Uhr mit der S-Bahn zum Wasen unterwegs war, erlebte bereits am Hauptbahnhof eine Stimmung wie im Bierzelt. Ein extrem junges Publikum, bewaffnet mit Weizengläsern und Bierkisten, bemühte bereits kurz nach dem Aufstehen bewährte Bierzelt-Poesie in voller Lautstärke.

Bei Thema Vorglühen scheinen alle Wasen-Beteiligten ratlos. „Das ist kein wasenspezifisches, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem“, so Andreas Kroll. Bei der schieren Masse an Besuchern sei das Problem beim Volksfest allerdings viel sichtbarer und damit stärker im Fokus, als etwa an einem normalen Party-Wochenende in der Innenstadt.

Das Rote Kreuz hatte 20 Prozent mehr Einsätze

Wie groß das Alkohol-Problem ist, zeigen die Zahlen des Roten Kreuzes: „Wir hatten bereits zur Halbzeit 20 Prozent mehr Einsätze“, sagt Waltraud Mohr, DRK-Einsatzleiterin auf dem Wasen. Intensivster Tag für die Rettungskräfte war der 5. Oktober, ein Samstag mit VfB-Heimspiel, ausverkauftem Cro-Konzert und Volksfest. „Da hatten wir zwischen 17 und 19 Uhr mehr als 150 Rettungskräfte und sieben Notärzte im Einsatz“, so Mohr weiter.

Auch die Polizei hat in fast allen Bereichen höhere Zahlen zu vermelden. „Wir mussten 15 Prozent mehr Fälle von Körperverletzung verzeichnen, bei den Diebstählen liegen wir 30 Prozent über dem Vorjahr und bei Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz sind wir 50 Prozent über dem Jahr 2012“, sagte Thomas Engelhardt, der Leiter der Wasenwache. Insgesamt 944 Straftaten wurden 2013 gezählt gegenüber 802 im Jahr 2012. Positiv: Die Fälle von schwerer Körperverletzung seien zurückgegangen. Dafür habe es laut Engelhardt einen starken Anstieg von Beleidigungen gegen Polizisten gegeben.

Kritik an der Eröffnungsfeier erneuert

Am Thema Tracht scheiden sich nach wie vor die Geister. An einem Samstag fällt man ohne zünftiges Outfit längst auf. Festzeltwirtin Sonja Merz sagt, die Tracht mache kleine Kavaliere aus den Wasen-Besuchern. In-Stuttgart-Abteilungsleiter Marcus Christen freut sich über einen sensationellen Verkauf von Dirndl und Co.. Viele Wirten in der Innenstadt sehen die Kostümierung dagegen kritisch. Die Bar im Stuttgarter Westen lässt zum Beispiel keine Gäste in Tracht rein. Und Sasa Mijailovic, Betreiber des Kowalskis, sieht ein erhöhtes Aggressionspotenzial bei Gästen, die im Trachten-Look in seinen Club drängen.

Kritik gab es zum Wasen-Abschluss noch einmal an der Eröffnungsfeier, bei der Oberbürgermeister Fritz Kuhn von Teilen des Publikums ausgebuht wurde. „Die Auftaktveranstaltung hat mir in diesem Jahr überhaupt nicht gefallen. Die Musikauswahl hatte keinen Bezug zum Wasen, die Inszenierung war lieblos, da müssen wir noch einmal grundlegend ran“, sagte Wasenbürgermeister Michael Föll. „Wir prüfen die Alternativen intensiv“, bestätigte Andreas Kroll. Auch hier ändern sich die Zeiten: Die Eröffnungsfeier war erst vor zwei Jahren reformiert worden.