Eigentlich hatten Trendforscher erwartet, dass sich der Boom der Trachtenmoden abschwächt. Aber weit gefehlt: lediglich das Styling ändert sich.

Stuttgart - Aufs Stuttgarter Volksfest geht es nur im Dirndl!“ Entschieden mustert Martina ihr Spiegelbild. Sitzt der Ausschnitt? Die Schürze? Ist die Schleife an der richtigen Seite – der rechten? Da hält es die Mittvierzigerin mit einer Regel, die sie in Bayern lernte: „An der Schleife kann man den status quo der Dame ablesen, links gebunden bedeutet ledig, rechts verheiratet, in der Mitte unschlüssig.“ Dass die Kulturwissenschaftlerin Simone Egger, die seit mehr als 15 Jahren Trachten wissenschaftlich erforscht, dies als „urbanen Mythos“ abtut, der – hartnäckig verbreitet – „wirkungsmächtig“ wurde, ist ihr gleich. Seit die gebürtige Rostockerin vor Jahren die Welt der Trachten entdeckte, werden alle Codes beachtet, gleich welchen Ursprungs. „Wo ich herkomme, spielte Brauchtum keine Rolle“, erklärt sie. „Mir gefällt’s, hier lacht keiner darüber.“ Wäre es vielen früher peinlich gewesen, in Dirndl, Krachlederner oder Strickjanker über das Cannstatter Volksfest zu wanken, ist es längst andersherum. Während des Wasens sind die Straßen- und S-Bahnen voller fescher Mädle und Buben. „Das macht Spaß, man fühlt sich zusammengehörig, wie in einer ländlichen Gemeinschaft“, sagt Martina.

 

Werte seien das, die in der Globalisierung verloren gingen. Dabei machten die Beobachter gesellschaftlicher Phänomene im vergangenen Jahr schon ein allmähliches Ende des Booms aus. Der Zenit sei überschritten, hieß es. Statt neun von zehn Wiesnbesuchern seien nur noch fünf oder sechs in Tracht gesichtet worden. Exakte Statistiken gibt es nicht. Der Hamburger Trendforscher Peter Wippermann interpretierte das Beobachtete als Folge der Kommerzialisierung. Wurden einst Trachten in Spezialgeschäften erstanden, sprangen zunehmend Ketten mit Billigware aus China auf den Brauchtumszug auf, der nach der Jahrtausendwende losdampfte. Auch im Luxussegment wollte man nicht außen vor bleiben: Modemacher Lagerfeld kreierte den „Sissi-Stil“. Und international laufen Dirndl sowieso. Für Oktoberfeste in Dubai kaufen Kundinnen bei der Designerin Carolin Kopp handgemachte Modelle aus Seide und orientalischen Saristoffen mit Namen wie Schneewittchen, Blue Curacao oder Daiquiri. In den USA prägen die Geschäfte mit der „Trachten Wear“ von New York und Pennsylvania bis Michigan, Illinois und Oregon das stereotype Bild des deutschen Krauts mit Lederhosen und gefiedertem Hut.

Der aktuelle Trend geht zu Tradition und Klassik

Auch in „good old Germany“ sehen die Designer keine Trend-, aber eine Styling-Wende. Trachtenteile würden einzeln neu kombiniert, etwa die Bluse, das Fransentuch oder der Janker zur Jeans. „Wir verkaufen so viel wie in den vergangenen Jahren“, sagt Anja Bauer, in Stuttgart Filialleiterin des bayerischen Trachtenspezialisten Angermaier. „Viele kaufen vor dem Wasen eine Bluse dazu oder ein Zweitdirndl, die Herren neue Westen.“ Die seien heuer gerne aus Samt, ebenso die Mieder der Damen. Kamen die Dirndl in den vergangenen Jahren knalligfarbig daher, mit viel Bling-Bling, Chichi oder gar Muster im Ethnostil, ginge der Trend zu Tradition und Klassik, so Bauer. „Ruhigere Farben, sanfte Pastelltöne, lindgrün, rosé, eisblau. Wertigkeit und gute Verarbeitung zählt, beste Stoffe, Gobelin, Brokat, florale Blumenmuster wie im 19. Jahrhundert.“

Nach Ethnologen soll das Dirndl um 1870 entstanden sein, als die Städter das Alpenland entdeckten. Für die „Sommerfrische“ adaptierten sie die Tracht der bäuerlichen Einheimischen, etwa die leinenen und baumwollenen Arbeitskleider der Magd, der „Dirn“, und hübschten sie mit Blümchen auf. Auch bei Angermaier gebe es als Einstiegsmodell ab 100 Euro ein Dirndl aus hochwertiger Baumwolle mit Bluse, sagt Bauer. „Wer Geschmack daran findet, will mehr.“ Dazu zählen etwa Designerdirndl von Astrid Söll, die in diesem Jahr nicht nur Lederdirndl im Trendton Marsala, sondern Modelle mit „Schneewittchenkragen“ präsentiert.

Bei den Männern sind vor allem Lederhosen gefragt

Derlei Stücke können schon mal vierstellige Beträge kosten, doch Trendsetterinnen schauen nicht auf den Euro. „Bei Trachten steht das Produkt im Mittelpunkt“, so Joachim Aisenbrey, Geschäftsführer von Breuninger. Seit Jahren wachse der Bereich Trachtenmode, man biete Modelle für jedes Budget an. Neben Dirndl und Lederhosen würden Jacken, Strickblazer, Stolen, Capes und Accessoires wie Ketten, Hüte und Blumen-Haarbänder gekauft. Er bestätigt, dass sich die Kollektionen zum klassischen Baumwoll-Dirndl entwickelten oder zu traditionellen Modellen mit liebevollen Details wie Stickereien oder schmuckvollen Knopfleisten. Auch modische Dirndl seien beliebt – Schürzen mit aufwendigen Verzierungen, Spitze, Glitzer, oft in Rosé-Tönen. „Bei den Herren sind vor allem Lederhosen in verschiedenen Lederoptiken oder mit farbigen Stickereien – grün und blau – gefragt“, so Aisenbrey.

Björn Lindert, der Geschäftsführer beim Kostümspezialisten Deiters, betont, dass es neben kräftigen Farben, rot und rosa, nicht allzu bunt zugehen sollte, sondern eher verspielt, verschnürt und verziert. Mädels setzten verstärkt auf Lederhosen, Nach Lindert ist der Trachtenhype immer noch „voll da“, auch bundesweit steige der Verkauf an. Und da Ware und Material hochwertiger seien, zahlten Kunden dafür gerne mehr als für Verkleidungen: „Meist werden da schon 150 bis 200 Euro für ein Outfit ausgegeben.“