Die Stadtwerke haben ein Carsharing-Unternehmen mit derzeit 60 Fahrzeugen aufgebaut. Und sie wollen stark expandieren: Schon bald sollen es 500 Autos im Land sein. Das Besondere aber ist, dass die Firma mehr bietet als nur Mietwagen.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Calw/Stuttgart - Derzeit bahnt sich in Calw ein Vorstoß in Sachen Elektromobilität an, der womöglich bald landesweit von sich reden machen wird. Das Unternehmen „Deer“ (englisch für Hirsch) ist eine Tochter der städtischen Energie Calw – und hat bereits eine Infrastruktur mit 60 Elektroautos und 130 Ladesäulen in der Region aufgebaut. Vor allem will der Hirsch große Sprünge machen: Allein 2019 werden weitere 50 Autos angeschafft, in drei Jahren sollen es 500 überall im Land sein – dann wäre Deer fast so groß wie Car2go jetzt in Stuttgart und einer der größten Player im E-Carsharing im Südwesten.

 

Natürlich ist auch bei Horst Graef, dem Geschäftsführer von Energie Calw sowie Deer, viel Marketingsprech dabei, aber Kunden bestätigen weitgehend, dass die Ideen und Angebote der Firma oft weiter gehen als anderswo. So will Deer ein Komplettangebot machen: Die Stadtwerke verteilen nicht nur Elektroautos übers Land, sondern man kann auch ein Auto auf längere Zeit leasen. Wer will, dem bauen die Stadtwerke eine Fotovoltaikanlage aufs Dach, aus der dann der Strom für das Fahrzeug kommt. Eine sogenannte Wallbox, also eine private Ladesäule, wird gerne eingerichtet. Der Service werde großgeschrieben, rund um die Uhr erhält man zum Beispiel ein Ersatzfahrzeug, wenn man doch mal eine Panne hat. Niemand soll bei Deer zum Hirsch werden müssen.

Das Angebot soll es bald in vielen Städten im Land geben

Vor allem aber sind die Preise für die gut ausgestatteten Renault Zoë und E-Golfs fast schon befremdlich günstig: Eine Stunde Automiete kostet 4,50 Euro, ein Tag 29,90 Euro. Bei Car2go zahlt man für einen Smart 79 Euro. Manche munkeln, da werde von den Stadtwerken quersubventioniert, was Graef aber bestreitet: Deer sei selbst wirtschaftlich. „Wir wollen die gesamte Elektromobilität aus einer Hand anbieten und viel Komfort und Service bieten“, gibt Graef als Ziel vor – damit das Umsteigen nicht nur ein gutes Gewissen bringt, sondern auch Spaß. Das geplante starke Wachstum soll sich aus zwei Quellen speisen. Erstens bietet man Firmen an, den Fuhrpark für sie komplett zu managen. Und zweitens ist man in Gesprächen mit vielen Städten, die das E-Carsharing-Modell aus Calw übernehmen wollen. In Böblingen ist Deer schon aktiv, aktuell hat Süßen im Kreis Göppingen Interesse, Heilbronn, Waiblingen und Freudenstadt könnten folgen. Oft machen auch die örtlichen Stadtwerke mit.

Reine E-Auto-Anbieter gibt es im Südwesten nur wenige

Carsharing-Angebote gibt es in Baden-Württemberg mittlerweile in nahezu jeder Stadt – außergewöhnlich bleibt aber, dass sich solche Modelle im eher ländlichen Raum entwickeln und dass die Unternehmen ausschließlich auf E-Fahrzeuge setzen. Dies gibt es noch mit „my-e-car“ in 19 südbadischen Gemeinden; aufgebaut wurde das Angebot mit derzeit 70 Autos von Stadtmobil Südbaden und der Energiedienst Holding. Daneben betreibt die Bahntochter Flinkster in der Region Bruchsal das Unternehmen „zeozweifrei unterwegs“ mit gut 40 Autos. Car2go bleibt der Marktführer, in Stuttgart sind 550 Smarts und Mercedes B-Klasse-Fahrzeuge im Einsatz, allesamt Elektroautos. Allerdings hat sich Car2go zuletzt aus wirtschaftlichen Gründen aus einigen Gebieten der Region Stuttgart zurückgezogen und ist noch städtischer geworden. Die bevorstehende Fusion mit Drivenow von BMW dürfte aber einen Schub bringen.

Horst Graef und die Deer-Chefin Ricarda Becker denken aber auch politisch. Vor wenigen Wochen hat die Energie Calw mit etlichen Partnern eine Petition an den Bundestag geschickt. Darin fordern sie, die ihrer Meinung nach fehlgeleitete Förderpolitik in Sachen Elektromobilität zu ändern. Bisher flössen fast alle Mittel in die Großstädte – aber genau dort gebe es mit einem gut ausgebauten öffentlichen Nahverkehr bereits gute Alternativen zum eigenen Auto. Auf dem Land dagegen fehlten solche Angebote, obwohl dort das Potenzial enorm sei. Es sei wichtig, „Kommunen, Sozialdienste, mittelständische Energieversorger und private Hausbesitzer“ im ländlichen Raum zu unterstützen – ein Teil der 300 Millionen Euro an Bundesfördergeld müsse aufs Land kommen.

Ausbau der öffentlichen Ladesäulen schreitet voran

Die Ladestruktur allerdings wird im Südwesten immer besser, auch durch öffentliches Geld. Ein Landesprogramm mit 2,2 Millionen Euro Fördermitteln sorgt etwa derzeit dafür, dass mindestens alle zehn Kilometer eine normale Ladestation und mindestens alle 20 Kilometer eine Schnellladestation errichtet wird – bis Mitte des Jahres soll alles fertig sein. Horst Graef argumentiert aber, dass auch Privatleute und Firmen gefördert werden müssen; nur wenn vor der eigenen Haustür Ladesäulen stünden, werde ein Elektroauto attraktiv.

Tatsächlich kritisieren auch andere Carsharing-Anbieter, dass Elektroautos derzeit nicht wirtschaftlich zu betreiben seien und deshalb nicht in so großer Zahl wie gewünscht in die Produktpalette aufgenommen werden. Deutschlandweit liegt der Elektroanteil über alle Carsharing-Anbieter hinweg bei gut zehn Prozent. Auch der Bundesverband Carsharing hält eine bessere Förderung deshalb für unabdingbar.

Übrigens, wer sich fragt, warum das Calwer Unternehmen Deer einen so seltsamen Namen trägt, dem sei verraten: Eine andere Tochter der Energie Calw ist der bundesweite Ökostromanbieter „Schwarzwald energy“ – und dessen Logo ist der Hirsch. Zumindest die Ein*geweih*ten können daran erkennen, dass beides zusammengehört. Beides made in Calw.

Die Car-Sharing Angebote im Südwesten

Elektroautos
In Baden-Württemberg waren 2018 rund 11 000 elektrisch betriebene Autos angemeldet. Das entspricht nicht einmal 0,2 Prozent des Fahrzeugsbestandes.

Carsharing
Deutlich mehr als zwei Millionen Menschen in Deutschland nutzen Carsharing. Laut dem Bundesverband Carsharing in Berlin waren Anfang 2018 insgesamt 165 Anbieter mit knapp 18 000 Fahrzeugen aktiv. Sie betrieben 5000 Stationen.

E-Anteil
Etwas mehr als zehn Prozent dieser Fahrzeuge sind E-Autos. Im Verhältnis zum privaten Autobestand ist dieser Anteil hoch. Für viele ökologisch orientierte Nutzer ist er deutlich zu niedrig.

Modell
Man unterscheidet zwei Modelle bei Carsharing. Beim „Free-floating“ kann das Leihauto überall am Straßenrand abgestellt werden; Car2go und Drivenow sind die größten Anbieter. Beim stationsbasierten Modell können die Autos nur an festen Plätzen abgeholt werden; Stadtmobil ist Marktführer.

Vorreiter
Karlsruhe hat mit 2,7 Carsharing-Autos pro 1000 Einwohner das bundesweit beste Angebot. Unter den zehn besten Städten liegen fünf aus Baden-Württemberg, neben Karlsruhe sind das Stuttgart, Freiburg, Heidelberg und Tübingen. Stuttgart hat mit 550 E-Autos von Car2go das bundesweit beste Elektro-Angebot