Vor zwanzig Jahren eroberte Andrew Lloyd Webbers „Cats“ im Sturm auch die deutschen Bühnen. Nun kehrt das Stück in einer aufwendigen Zeltproduktion für mehrere Wochen nach Stuttgart zurück. Am Sonntag ist Premiere.

Stuttgart - Im Wiener Stadtteil St. Marx haben sie sich seit geraumer Zeit der Stadtentwicklung verschrieben. Auf dem Gelände eines ehemaligen Schlachthofs entsteht „Neu-Marx“, wo man ansiedelt, was modern klingt: Medien und Technologie. Und als im Mai der Sommer langsam nach Wien kroch, stand da auch das schwarze Zelt mit den grünen Augen, das „Cats“-Zelt. Inzwischen ist es weitergezogen, auf den Cannstatter Wasen. Am kommenden Sonntag hat in diesem Zelt das Stuttgarter „Cats“-Gastspiel Premiere.

 

Im „Cats“-Zelt zu Wien erzählte vor der Aufführung an einem sonnigen Freitag im Mai der Company Manager Juan Escardell den hinkutschierten Journalisten, was das Besondere an „Cats“ sei: „Cats ist Hochleistungssport“, sagte er, „deshalb haben wir immer wieder Verletzungen“. Für viele Darsteller sei „Cats“ ein Lebenstraum, den sie später am Körper spüren: „Es gibt keinen Tag, an dem sie aufwachen, und es tut nichts weh. Irgendwo tut es immer weh.“

Dann guckt man „Cats“, das Andrew-Lloyd-Webber-Musical, das 1981 in London uraufgeführt wurde und zwei Jahre später unter der Intendanz von Peter Weck am Theater an der Wien große Erfolge feierte. Man schaut zu, wie Grizabella, eine gealterte Ex-Glamour-Katze von den meisten anderen Katzen erst gemobbt und dann doch akzeptiert wird, weil der Oberkater Alt-Deuteronimus Gutes in ihr erkennt. Danach wird man von den Promotern, die „Cats“ nach einigen Jahren Spielpause – in Hamburg war es fünfzehn Jahre lang auf St. Pauli zu sehen, auch im Stuttgarter Musicaltheater gab es eine Station – nun wieder belebt haben und im Zelt durch Deutschland und Österreich schicken, zum nächtlichen Abendessen eingeladen.

Die Gage bei „Cats“ ist für die Tänzer auch Schmerzensgeld

Ebenfalls eingeladen ist die Musical-Darstellerin Dörte Niedermeier, die als so genannte Swing in der Lage ist, je nach abendlichem Bedarf sechs verschiedene Katzen zu verkörpern. Dörte Niedermeier sagt: „Wenn man ,Cats’ gemacht hat, dann weiß man: ,Der kann tanzen, und der hält was aus.’“ Aber klar: „Alles tut weh!“ Die Gage bei „Cats“ sei auch Schmerzensgeld.

Peter Weck, der ehemalige „Cats“-Intendant in Wien, ist mittlerweile 82, und er kann auf eine lange Karriere als Schauspieler und Regisseur zurückblicken. Als in den Achtzigern die Katzen sein Theater füllten, drehte er gleichzeitig als Regisseur und Hauptdarsteller eine Fernsehserie namens „Ich heirate eine Familie“. Thekla Carola Wied spielte damals seine Frau. Jetzt steht Weck der „Cats“-Neuproduktion als Schirmherr zur Verfügung. „Man ist in gewisser Weise eine Galionsfigur“, sagt er, wenn man ihn anruft und ihn fragt, was Schirmherr bedeutet. Und dann sagt er, dass „Cats“ „unheimlich anstrengend“ sei – „tänzerisch“. Fast klingt es, als habe er Mitleid: „Wenn man diese Mädchen sieht, diese zarten Dinger – was die in zweieinhalb Stunden so leisten, ist ganz gewaltig.“

Das ganze Unterfangen „Cats“-Wiederbelebung hat etwas Gewaltiges: Das Musical lief einst sieben Jahre lang in Wien, erreichte dort 2,3 Millionen Zuschauer und befeuerte die Karrieren von Ute Lemper und Angelika Milster, deren Version der Lloyd-Webberschen „Erinnerung“ eine ganze Generation von Heranwachsenden zumindest zwischenzeitlich mit der Kunstform Musical versöhnte.

Bei diesem Stück kommt es auch auf die Texte an

Die beiden singen bei der Neuproduktion natürlich nicht mehr mit, aber dafür leihen eine ganze Reihe von inspirierten internationalen Newcomern den Katzen auf der Londoner Müllkippe ihre Stimmen, Gesichter und Beine: „Cats“ wird im Zelt sehr professionell in Szene gesetzt, die Rundbühne ähnelt der der Londoner Uraufführung, die tragenden Stimmen klingen gut, und dem inszenatorischen Eifer wurden bei „Cats“ von den Rechteinhabern immer schon sehr enge Grenzen gesetzt. Das einzige Problem der Neuauflage: Stellenweise sind die englischsprachigen Darsteller bei ihren Versuchen, auf Deutsch zu singen, nur sehr schwer zu verstehen. Und das ist schade, denn bei diesem Stück kommt es stark auch auf den Text an.

„Wenn das so ist, ist das schlimm“, sagt Peter Weck, der Schirmherr, der erklärt, dass man im Mai womöglich einen unglücklichen Abend mit vielen Zweitbesetzungen erwischt habe. Denn ihn selbst habe an „Cats“ immer die Poesie fasziniert: „Dieses Zusammenwirken der Choreografie, des Lichts, der Erzählung und der einzelnen Katzen ist ein Gefüge, das den Leuten vom Kind bis zur Großmutter gefällt.“

Die Erzählung basiert auf Gedichten des US-amerikanischen Schriftstellers T. S. Eliot, der anno 1939 ein Buch mit Katzen-Gedichten veröffentlichte. Also versammeln sich im nächtlichen Schrottplatz-Ambiente so charakterstarke Figuren wie Mr. Mistoffelees, Rum Tum Tugger und Mungojerrie, um den Jellicle Ball zu tanzen und denjenigen unter ihnen ausfindig zu machen, der alsbald wiedergeboren werden darf. Wer „Cats“ als Jugendlicher erlebt hat, dem beschert die neue Zeltproduktion ein ganzes Arsenal von Erinnerungen, die man längst verschüttet glaubte. Wer „Cats“ dagegen zum ersten mal sieht, dem kommt die Singtanzerei in kätzischen Trikots mit Wuschelperücken und mit jeder Menge Schminke in den Gesichtern vielleicht ein bisschen retromäßig vor, was grundsätzlich aber ja auch kein Fehler sein muss.

„Der Humor ist teilweise so vordergründig geworden“, sagt Peter Weck über das Unterhaltungsgeschäft von heute, seine Katzen natürlich ausgenommen. Und er sagt, dass Unterhaltung nicht einfach sei: „Es ist viel schwieriger, etwas menschlich komisches zu spielen, als wenn man mit aufgestelltem Kragen und Dreitagebart einen Kommissar spielt, der nur Fragen stellt.“ Ermittler gibt es keine bei „Cats“. Suchende dafür umso mehr.