Nach dem Reutlinger Parteitag werfen viele Abgeordnete Parteichef Thomas Strobl Arroganz, Geringschätzung und Desinteresse vor.

Reutlingen - Wenn sich die CDU-Landtagsfraktion an diesem Mittwoch in ihre alljährliche Herbstklausur zurückzieht, hat sie nicht nur dicke Haushaltspläne im Gepäck, sondern auch ein zentnerschweres Paket Frust. Auf dem Etikett steht „Thomas Strobl“, man könnte auch „Geist von Reutlingen“ darauf schreiben. Denn was die Abgeordneten am Wochenende auf dem CDU-Landesparteitag in dieser Stadt erlebten, drückt den meisten von ihnen aufs Gemüt. Was ist geschehen? Oberflächlich betrachtet nur, dass Strobl als CDU-Landeschef wiedergewählt, Fraktionsvize Winfried Mack als sein Stellvertreter aber abgewählt wurde. Der Europaabgeordnete Daniel Caspary rückte an dessen Stelle – demokratischer Alltag. Na und?

 

Bei näherem Hinschauen zeigt sich, dass der bestehende Graben zwischen dem führenden CDU-Mann und dem Großteil seiner Landtagsfraktion dadurch noch tiefer wurde. Denn viele der 42 Abgeordneten sehen in der Abwahl Macks einen unfreundlichen Akt gegen die Fraktion insgesamt und machen dafür Strobl verantwortlich. Er habe – zusammen mit dem nordbadischen Bezirkschef Peter Hauk – seinen alten Kritiker auf unanständige Weise aus dem engeren Führungszirkel entfernt, heißt es. Nicht, dass Mack Everybody’s Darling wäre, im Gegenteil: Der Ellwangener hat mit vielen eine Rechnung offen. Doch wenn es um die Fraktion als Ganze geht, halten die Abgeordneten zusammen. Auch und gerade gegen Strobl.

Zeitungslektüre statt Zahlen

Es ist die Summe vieler Kleinigkeiten, die ihnen missfällt. So wurde in Reutlingen aufmerksam registriert, dass Fraktionschef Wolfgang Reinhart überhaupt nicht zu Wort kam – dabei ist ein Tätigkeitsbericht der Nummer Eins der Landtags-CDU eigentlich Usus. Doch es gibt größere Ärgernisse.

Nichts hat die Mandatsträger in den vergangenen Monaten mehr aufgewühlt als die Frage, ob in ihrem Wahlkreis ein Polizeipräsidium bleibt oder neu gebaut wird. Nur mühsam hat Strobl kaschiert, dass er solche Fragen für kleinkariertes Kirchturmdenken und unerheblich für die innere Sicherheit hält. So ließ er den Streit um zwölf, 13 oder 14 Polizeipräsidien lange Zeit laufen – was übrigens auch Reinhart tat – und delegierte die Berichterstattung vor den Abgeordneten an seinen Staatssekretär Martin Jäger. Das verübeln ihm viele.

Auch bei anderen Themen vermissen sie Engagement. Aktenstudium sei nicht Strobls Sache, heißt es. „Der ist gut für die ARD-Tagesthemen, interessiert sich aber nicht für Details“, klagt ein Fraktionär. Kopfschüttelnd erzählt man sich die Geschichte, wie er bei einem Treffen der Haushaltskommission kurz vor den Sommerferien seinen Amtschef Julian Würtenberger den Etat des Innenministerium vor der Koalitionsspitze erläutern ließ – während er selbst ausgiebig und raschelnd eine Sonntagszeitung studierte.

Konkurrenz Bund – Land

Man kann das als Minderwertigkeitskomplex von Landtagsabgeordneten abtun, die jede Äußerung eines in ihr Revier eindringenden Bundespolitikers als Arroganz auslegen. Die Konkurrenz Bund-Land gärt im Übrigen in allen Parteien, die frühere SPD-Landes- und Fraktionsvorsitzende Ute Vogt kann davon ein Lied singen. Doch Strobl ist kein Oppositionsführer, sondern stellvertretender Ministerpräsident, er braucht die Fraktion zum Regieren.

Geht seine Truppe, die sich (mit wenigen Ausnahmen) schon bei der Vergabe von Regierungsposten übergangen sah, also demnächst bei wichtigen Entscheidungen von der Fahne? Das ist nun nicht zu erwarten. Ende September steht zum Beispiel die Beratung des neuen Polizeigesetzes an – eine Reform, bei der sich Strobl intensiv eingebracht hat. Da dies den Kernbereich der CDU-Kompetenz betrifft, die innere Sicherheit, wird daran wohl niemand rütteln. Doch man gönnt dem Ressortchef den Erfolg nicht. Das werde nur deshalb eines der schärfsten Polizeigesetze in Deutschland, mault einer, damit er sich in Berlin damit brüsten könne. Die Atmosphäre ist jedenfalls giftig, und die Frage, wie stark Strobls Widerstand in der Fraktion ist, beantworten manchen mit „ein Drittel“, andere mit „querbeet“. Und so schimmert hier ein Riss durch, der eigentlich längst geschlossen schien: der zwischen den Lagern der früheren Kontrahenten Teufel/Schavan und Günther Oettinger. Da spielt es keine Rolle, dass die jungen Abgeordneten diese früheren CDU-Matadore kaum mehr persönlich kennen – in vielen Köpfen steckt der Konflikt noch immer drin. Erst Recht seit Reutlingen.

Mageres Wahlergebnis

Strobl müsse Teamplayer werden, die Fraktionäre auch mal bauchpinseln, sagen viele und mutmaßen, der Heilbronner wolle sich mit seiner Herablassung womöglich rächen: vor allem dafür, dass man ihm bei der Koalitionsbildung vor einem Jahr die Schmach zufügte und Winfried Kretschmann bei einer Probeabstimmung durchfallen ließ. Damals war der Heilbronner knapp davor alles hinzuschmeißen. Auch seine Niederlage gegen Guido Wolf beim Mitgliederentscheid habe er nicht verwunden, meinen andere. Im Strobl-Lager weist man das von sich und verweist auf die große Präsenz des Parteichefs in der Südwest-CDU. Doch das Wahlergebnis in Reutlingen spricht eine andere Sprache. Auf der Klausur in Pforzheim, wo das Thema aufs Tapet kommt, wird der Geist von Reutlingen jedenfalls im Raum sein.