Die Robert Bosch Stiftung verzichtet auf den Chamisso-Preis und damit auf eines ihrer Aushängschilder. Das Land verliert einen wichtigen Literatur-Preis. Eine falsche Entscheidung zum falschen Zeitpunkt, findet Literaturredakteur Stefan Kister.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - Es ist nicht so, dass der Chamisso-Preis unumstritten gewesen wäre. Vor zwei Jahren warf der stets krawallbereite Publizist und Autor Maxim Biller das böse Wort von der „Onkel-Tom-Literatur“ in die Debatte und meinte damit, der Preis fördere eine Domestizierung des Fremden, wodurch es seines Stachels beraubt werde. Freilich kann sich in Zeiten, in denen die Wutbürger des Abendlands mobil machen, niemand beklagen, dass die Integration neuer Stimmen und neuer Kräfte in unsere Gesellschaft allzu bruchlos gelinge. Umso erstaunlicher mutet der Zeitpunkt an, zu dem die Bosch-Stiftung eines ihrer erfolgreichsten Programme auf das Abstellgleis fahren will. Denn was der Chamisso-Preis bisher ausgezeichnet hat, löst auf literarischem Gebiet ein, was auf gesellschaftlichem immer wieder infrage gestellt wird: dass frischer Wind, Weltoffenheit, neue Perspektiven uns reicher und nicht ärmer machen.

 

Preis hat sich Entwicklungen angepasst

Über die Jahre hat sich der Preis den Entwicklungen in diesem Land immer wieder neu angepasst. Dass dies ein Prozess sein soll, der sich mit dem Erreichen eines Ziels erschöpft, folgt einer kruden Logik. Hat man irgendeine Emanzipationsbewegung vor Augen, die ihr Ziel so nachhaltig erreicht hätte, dass die Diskussion nicht weitergehen müsste? Ausgerechnet in dem konfliktuösen Bereich, in dem sich moderne interkulturelle Daseinsweisen literarisch reflektieren, soll dies der Fall sein? Bei allen Einbürgerungserfolgen früherer Chamisso-Preisträger auf dem Gebiet der deutschen Literatur fällt dies schwer zu glauben. Das Land verliert eine seiner wichtigen Auszeichnungen und die Bosch-Stiftung eines ihrer auffälligsten Aushängeschilder für ihr verdienstvolles Wirken.