Toni Kroos ist ein Ausnahme-Fußballer: Sein Trainer bei Real Madrid schwärmt vor dem Endspiel der Königsklasse von der Spielintelligenz des deutschen Nationalspielers.

Kiew - Ganz am Ende brechen innerhalb der königlichen Garde alle Dämme. So ist das jedenfalls nach einem Champions-League-Finale in der Entourage bei Real Madridin den vergangenen Jahren nach einem Triumph immer gewesen. Ob 2014 im Estadio da Luz von Lissabon, 2016 im San Siro von Mailand oder 2017 im Millennium Stadium von Cardiff: Hatten sich die Stars aus der spanischen Hauptstadt erst einmal den Henkelpott geholt und ein Anführer wie Sergio Ramos ihn im Konfettiregen in die Luft gestemmt, ging es noch auf dem Rasen zum kindlichen Teil über: Der Nachwuchs strömte in blütenweißen oder violetten Original-Leibchen aufs Spielfeld.

 

Der eine oder andere Knirps machte sich einen Riesenspaß daraus, das bunte Lametta erneut durch die Luft zu werfen. Manche Minis suchten in dem Getöse aber lieber den Arm des kickenden Papas auf. So entstanden stets nette Bilder für die Ewigkeit. Im Vorjahr waren in der walisischen Kapitale auch welche von Toni Kroos dabei, der seinen damals dreijährigen Leon mitgebracht hatte. Stilecht wie der Vater in einem Jersey mit der Nummer acht. Nur: Sehr viel später hatte die wenig kinderfreundliche Anstoßzeit ihre Spuren hinterlassen: In der Mixed Zone gähnte der Junior so demonstrativ, dass der Senior das Gespräch mit den Reportern abbrach. Es war ja auch schon weit nach Mitternacht.

Taktgeber auch gegen den FC Liverpool

Am Samstag (20.45 Uhr/ZDF) steht Real Madrid gegen den FC Liverpool erneut auf dieser Bühne. Das Ereignis in der ukrainischen Hauptstadt Kiew scheint im Familienkalender so fix notiert wie ein lange feststehender Elternabend. „Routine wird es nie“, versicherte der 28-Jährige zwar nun in einem ZDF-Interview, bekannte aber: „Das Herzklopfen ist nicht so doll.“ So spricht ein Taktgeber mit äußerst niedrigem Ruhepuls.

Gefühlt in jedem Jahr macht die Dachorganisation Uefa – und vor allem ihr Kreis an Geldgebern – am Endspielort noch mehr Brimborium um ihr lukrativstes Event, aber Protagonisten wie Kroos bleiben kühl wie eine Eisbox. Dass er das vierte Mal die Königsklasse holen könnte – dreimal mit Real Madrid, 2013 als verletzter Spieler mit dem FC Bayern – und Sepp Maier, Franz Beckenbauer oder Gerd Müller übertrumpfen würde, die von 1974 bis 1976 dreimal den Europapokal der Landesmeister gewannen, das spornt ihn gar nicht besonders an. „Natürlich nimmt man einen Platz in der Geschichte ein, der schon speziell ist. Aber der Titel an sich ist schon speziell genug“, sagt Kroos, den viele im Zusammenspiel mit Abräumer Casemiro und Alleskönner Luka Modric als die königliche Herzkammer ansehen.

Der Greifswalder ist Mister Bodenständig

Kraft und Energie wird es auch gegen die Engländer brauchen – dafür werde der Trainer auf der Gegenseite schon sorgen, glaubt der Mittelfeldspieler vor seinem 100. Europapokalspiel. „Ich erwarte Liverpool hochaggressiv, mit einem hohen Pressing, weil es die Charakteristik der Mannschaften von Jürgen Klopp ist.“ Er selbst steht auch in Schlüsselspielen seinen Mann, ohne vor- oder hinterher allzu viel Aufhebens um sich zu machen. So wie er mit mehr als 90-prozentiger Garantie die Bälle an die Mitspieler weiterleitet (und dabei auch den vertikalen Pass nicht scheut) – so geerdet kommt der Greifswalder zumeist rüber. Mister Bodenständig.

Sein Trainer Zinédine Zidane schätzt das eher zurückhaltende Naturell genauso wie die fußballerische Klasse. „Toni Kroos ist ein unglaublich intelligenter Spieler“, lobt der Franzose, der im Deutschen einen Bruder im Geiste erkannt hat, der mit unglaublichem Instinkt das Geschehen lenkt. Wie lange der 82-fache Nationalspieler das übrigens noch fürs deutsche Nationalteam tut, könnte bald eine spannende Frage werden. Kroos ist sehr klar im Kopf und hatte bereits weit vor dem Confed-Cup im vergangenen Sommer für sich entschieden, auf solch ein lästiges Turnier zu verzichten, um als dauerbeanspruchter Profi mehr Zeit für die Familie zu haben, die mit der zweijährigen Tochter Amelie inzwischen zu viert ist.

Geht’s nach der WM in der Nationalelf weiter?

Völlig ausgeschlossen wäre es daher nicht – einen halbwegs erfolgreichen Verlauf der WM in Russland mal vorausgesetzt –, dass Kroos nach dem Turnier auf Bundestrainer Joachim Löw zukommt, um ihm zu eröffnen, dass er sich allein auf seine Aufgaben im Verein konzentrieren wolle. Sollte es Real Madrid übrigens auch im nächsten Jahr bis ins Champions-League-Finale schaffen, müsste die Familie Kroos nur eine Spritztour in den Osten von Madrid unternehmen: Das Metropolitano im Stadtteil San Blas, wo die neue Heimstätte von Atlético steht, ist Schauplatz des Champions-League-Endspiels 2019.