Die Bundesliga wird in Spanien wertgeschätzt. Doch im Vergleich mit dem FC Bayern, Borussia Dortmund und Borussia Mönchengladbach gelten ihre Gegner Atlético und Real Madrid sowie FC Barcelona noch immer als eine Nummer größer.

Sport: Carlos Ubina (cu)

Stuttgart - Für Juan Castro ist die Sache klar. 3:0 geht der Champions-League-Vergleich zwischen den Mannschaften aus der Primera Divsión und der Bundesliga an diesem zweiten Spieltag aus. Im (un-)günstigsten Fall vielleicht 2:1. Selbstredend für die Spanier. Rein subjektiv betrachtet. Was schon allein daran liegt, dass Castro Spanier ist und sein Stolz keine andere Prognose zulässt. Doch er ist auch Fachmann, und als Chef für internationalen Fußball der Madrider Sportzeitung „Marca“ glaubt er auch ganz objektiv, gute Argumente auf seiner Seite zu haben: Der FC Barcelona spielt noch immer den schönsten Fußball, Real Madrid ist noch immer der spektakulärste Club auf diesem Planeten – und Atlético Madrid bleibt der unangenehmste Gegner in dieser Galaxie.

 

Und was ist mit dem Bundesligakrösus? „Die Bayern verfügen über eine exzellente Elf, auch über einen sehr starken Kader, und in Carlo Ancelotti haben sie einen sehr guten Trainer, aber sie haben eben keinen Superstar in ihren Reihen“, sagt Castro. Keinen Lionel Messi oder Cristiano Ronaldo, keinen Neymar oder Gareth Bale, keinen Luis Suárez oder Antoine Griezmann. Keinen Spieler also, der viel später in der Saison den Unterschied zwischen den Besten ausmachen kann – und der gleichermaßen für Glamour und Extraklasse steht.

Dennoch: In Spanien bringt man den Bayern mehr als den branchenüblichen Respekt entgegen. Sie fehlen in keiner Favoritenaufzählung. Seriös geführt, wirtschaftlich potent, sportlich gefestigt. Und das seit Jahren. Nur als sexy gelten sie eben nicht. Zu viel Kontrolle à la Xabi Alonso und zu wenig Intuition à la Andrés Iniesta.

Die schwarze Bestie verliert an Schrecken

Zudem hat die einstmals schwarze Bestie einfach an Schrecken verloren. „Bestia negra“ nennen sie auf der Iberischen Halbinsel ja ihre Angstgegner – und der FC Bayern genoss lange den Ruf, den spanischen Edelclubs Furcht einflössen zu können. Bis Pep Guardiola kam. Zugespitzt formuliert, versaute der katalanische Startrainer (jetzt Manchester City) dem deutschen Rekordmeister die Bilanz: 2014 an Real gescheitert, 2015 von Barça entzaubert, 2016 an Atlético zerschellt. Jeweils im Halbfinale.

Jetzt spricht die Kraft der Zahlen für die spanischen Teams. „Aber durch das Halbfinale letzte Saison kennen wir die Stärken und Schwächen von Atlético“, sagt Thiago vor der Begegnung am Mittwoch (20.45 Uhr/ZDF) in Madrid, und der spanische Techniker in Münchner Diensten weiß: „Wir müssen alle Waffen einsetzen, die wir haben.“ Aufsässig wie Trainer Diego Simeone. Widerborstig wie Verteidiger Diego Godin, leidenschaftlich wie die Fans im Estadio Vicente Calderon – das ist Atlético.

Als was der Stadtrivale an diesem Dienstag (20.45 Uhr) nach Dortmund kommt, wissen sie dagegen nicht einmal im königlichen Club selbst. Als selbstbewusster Tabellenführer der stärksten Liga der Welt oder als sensibler Titelverteidiger, der mal wieder aus dem inneren Gleichgewicht zu geraten scheint. Durch eine einzige Auswechslung. Trainer Zinedine Zidane hat den schwachen Ronaldo frühzeitig vom Platz genommen. Ein Politikum bei Real. Doch weniger, weil aus dem 2:1-Vorsprung bei Unión Deportiva Las Palmas noch ein 2:2 wurde, sondern weil der portugiesische Stürmer der Mann ist, der seit seiner Ankunft 2009 in Madrid 366 Tore erzielt hat.

Zweifellos ist CR 7 groß und großartig. Zweifelsfrei verfügt Ronaldo auch über ein Mega-Ego, aber seit seiner Verletzung im EM-Finale und dem Gewinn der Europameisterschaft läuft es nicht mehr – und nun gilt der Angreifer im weißen Trikot nicht mehr als unantastbar. „Ich wollte Cristiano für das schwere Spiel in Dortmund schonen“, sagt Zidane – denn der Coach muss mit einem BVB rechnen, der schnell und filigran selbst die königlichen Gäste auseinandernehmen kann.

Ein Könner für Kenner

Vier Siege mit 20:2 Toren weist die jüngste Statistik aus, was die Spanier genauer ins Revier schauen lässt. „Dortmund hat wohl die intelligentesten Transfers aller Spitzenvereine getätigt“, sagt Castro. So lassen die Verpflichtungen von Raphael Guerreiro, Ousmane Dembélé und Emre Mor die Borussia für den „Marca“-Mann zu einem der spannendsten Projekte werden. Zumal Thomas Tuchel unter den Fußball-Nerds im südlichen Teil Europas als Trainer-Nerd wahrgenommen wird.

Ein Könner für Kenner also. Wie die gesamte Bundesliga als ein Produkt wertgeschätzt wird, dessen Reiz sich auf den zweiten Blick offenbart. Es zählt weniger der Glanz, sondern mehr die solide Arbeit und gute Struktur. Eine Entwicklung eben, wie es sie in Spanien kaum gibt und wie sie Borussia Mönchengladbach zuletzt durchlaufen hat. Über Jahre gewachsen, mit pfiffiger Personalpolitik die Millionen-Verkäufe abgefangen und nun wieder im elitären Kreis angekommen. Gegen den FC Barcelona muss dennoch alles passen, damit der erhoffte Überraschungscoup glückt.