Andrea Nahles soll als Fraktionschefin der SPD keine Mehrheit mehr haben. Gegenkandidaten finden sich aber auch nicht. Baden-Württembergs Landeschef Andreas Stoch rät den Genossen, die Lage zunächst in Ruhe zu analysieren.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Angesichts der immer unübersichtlicheren Lage der SPD sowie ihrer Partei- und Fraktionsvorsitzenden Andrea Nahles nach den Wahlniederlagen am vorigen Sonntag rät der baden-württembergische SPD-Chef Andreas Stoch, die Ruhe zu bewahren. „Wir sollten jetzt nicht in Panik verfallen, sondern wir sollten uns erst mal Zeit für eine vernünftige Analyse nehmen“, sagte er unserer Zeitung. Forderungen aus Teilen der Partei, den Bundesparteitag vorzuziehen und diesen noch vor den Landtagswahlen in Sachsen sowie Brandenburg am 1. September abzuhalten, erteilte er eine Absage: „Ich glaube, dass wir die Zeit bis Dezember brauchen. Vernünftige Alternativen dazu sehe ich im Moment nicht.“

 

Bericht über Probeabstimmungen umgehend dementiert

Nahles hat weitere Unruhe in der SPD gestiftet, weil sie für kommenden Dienstag im Alleingang eine vorgezogene Abstimmung über ihren Fraktionsvorsitz anberaumt hatte, um Putschgerüchte aus der Welt zu räumen. Gegenkandidaten haben sich bisher zwar nicht gefunden. Doch resultieren aus dieser Misere nun neue Spekulationen über angebliche Probeabstimmungen am vergangenen Mittwoch in den drei Parteigruppen Seeheimer Kreis, Netzwerker und Parteilinke. In keinem Fall hätte es eine Mehrheit für Nahles gegeben, heißt es in einem Medienbericht. Dies wurde vom Sprecher des Seeheimer Kreises, Johannes Kahrs, sowie von Niels Annen, dem Staatsminister im Auswärtigen Amt, umgehend dementiert. „Es gab keine Probeabstimmungen“, twitterte Kahrs ähnlich wie Annen.

Stoch verteidigt derweil das Vorgehen der Fraktionschefin: „Nahles war nicht der Auslöser der Debatte, diese wurde ärgerlicherweise schon vor dem Wahltag lanciert – was ich für grob fahrlässig halte“, sagte er. Dann sei noch am vergangenen Montagnachmittag ein Brief aufgetaucht, in dem ein Bundestagsabgeordneter Nahles‘ Führungsanspruch in Zweifel gezogen habe. „Was bleibt ihr da anderes übrig, als für Klarheit zu sorgen?“, so Stoch. „Niemand kann an einem monatelangen Machtkampf interessiert sein – deswegen habe ich Verständnis für ihr Vorgehen.“

Stoch fordert erst einmal einen „Plan“

Der baden-württembergische Landeschef forderte nach der Europawahl einen „Kassensturz“ in der SPD. „So ein Ergebnis zwingt uns, alles auf den Prüfstand zu stellen und uns auf allen Ebenen ehrlich zu machen“, sagte er. „Die Menschen verbinden mit der SPD nichts wirklich Verbindliches mehr. Da muss ich inhaltliche Klarheit schaffen.“ Ferner traue man der Partei bei sozialer Gerechtigkeit zwar noch Kompetenz zu. „Aber sind wir noch in der Lage, unsere Forderungen verständlich rüberzubringen?“, fragte Stoch. „Die Wahlkampagne ,Soziales Europa’ war, so wie sie umgesetzt wurde, von der Lebenswirklichkeit der Menschen zu weit weg.“ Abgesehen von Inhalten und Kommunikation müsse dann auch noch über die personelle Aufstellung geredet werden. „Aber solange ich insgesamt keine Alternativen habe, ist es leichtfertig zu fordern, dass einfach die Parteivorsitzende weg muss – ich brauche doch als erstes einmal einen Plan.“

Allerdings haben auch die Jusos Baden-Württemberg in einem offenen Brief an den Parteivorstand das Ende der großen Koalition gefordert: „Der vergangene Sonntag hat wieder einmal gezeigt, dass die große Koalition ein Auslaufmodell ist, sie genießt in der Bevölkerung keinen Rückhalt mehr und vertritt die Interessen der Bürgerinnen und Bürger nicht“, sagte die Juso-Landesvorsitzende Stephanie Bernickel dazu. „Wir Jusos hatten vor den Folgen einer erneuten Großen Koalition gewarnt und sehen uns nun leider in unseren Befürchtungen bestätigt.“