In Lehrerzimmern wie auf Pausenhöfen ist ChatGPT ein heißdiskutiertes Thema. Ein Schulleiter spricht von einer „Revolution“, ein anderer ist eher skeptisch.

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)

Das Programm ChatGPT ist auch in Stuttgarter Schulen angekommen. Es werde sicherlich schon von Schülerinnen und Schülern für die Hausaufgaben genutzt, heißt es auf Anfrage aus mehreren Gymnasien. Noch wird der Einsatz nicht als hoch eingeschätzt – mit Betonung auf noch. Auch habe nicht jede Lehrkraft bereits realisiert, dass sich ChatGPT auf die Art, wie gelernt und gelehrt wird, auswirken wird, berichtet ein Lehrer über den Austausch im Kollegium. Er selbst sieht das anders.

 

Wie sind in Zukunft schriftliche Nachweise, die zu Hause erledigt werden, zu bewerten? Müssen Aufgaben anders gestellt werden? Sollte man die Künstliche Intelligenz (KI) als Hilfsmittel zulassen, das eingesetzt werden darf? Wie könnte man KI in den Unterricht integrieren? Und welche zusätzlichen medienpädagogischen Aufgaben kommen auf die Schulen zu? Fragen, die nicht nur in Lehrerforen im Netz und auf Twitter diskutiert werden, sondern mit denen sich auch Schulleitungen auseinandersetzen.

Chatbot könnte didaktisch eingebunden werden

„Das schießt gerade durch die Decke“, drückt es Ulrich Göser, der Schulleiter des Ferdinand-Porsche-Gymnasiums, aus. Er hat sich seit den Weihnachtsferien intensiv mit ChatGPT befasst und den Chatbot ausgiebig getestet. Erste Handreichungen, um sein Kollegium zu sensibilisieren, habe er weitergegeben. Für ihn steht fest: „Da hat eine digitale Revolution begonnen.“ Das werde die Gesellschaft verändern – nicht nur den Umgang mit Hausaufgaben.

An dem Zuffenhäuser Gymnasium steht ein pädagogischer Tag zum Thema Digitalisierung an. Da komme kurzfristig der Umgang mit ChatGPT mit auf die Tagesordnung, so Göser. Da müsse man „schnell ran“. Vom Potenzial des Programms zeigt er sich beeindruckt. Seine eigenen Abfragen, darunter die Frage „Beurteile den Einsatz militärischer Mittel zur Friedenssicherung“, hätten erstaunlich gute Ergebnisse geliefert. „Faszinierend“ sei es bei Nachfragen geworden. Für den Unterricht sieht Göser spannende Ansätze. So könnten Schüler mit dem Bot in den Diskurs treten und die Antworten analysieren. Wichtig sei, diese darüber aufzuklären, dass ChatGPT auf dem Wissensstand von 2021 ist. Und über die Gefahren, die digitale Gesprächspartner bergen, zu sprechen.

Neue Herausforderung für Lehrkräfte

Auch Anne Gsell, die Leiterin der Schulgemeinschaft Max-Eyth-Schule, zu der das Technische Gymnasium gehört, aber auch berufliche Schulen, ist fasziniert von ChatGPT und dessen Möglichkeiten. Sie hat sich ebenfalls in den Ferien intensiv mit dem Bot befasst, der auf Fragen einzigartige Antworten liefert. Über eine einfache Google-Abfrage kommt eine Lehrkraft Betrug also nicht auf die Spur. Ihr erstes Rundschreiben zu ChatGPT ging nach den Ferien raus: Darin habe sie dazu aufgefordert, bei Referaten den Fokus verstärkt auf die mündliche Abfrage zu legen, so Gsell. Langfristig, glaubt die Rektorin, wird es normal sein, dass ChatGPT genutzt wird. „Das wird ein zusätzliches Hilfsmittel werden“, meint sie. Auch eines, von dem Lehrkräfte profitieren könnten.

Gsell sieht wie Göser beides: Gefahren und Chancen. Sie hat von ChatGPT ein Gedicht interpretieren lassen und war „überrascht von der Qualität“. Bei Wissenslücken könne es aber passieren, dass die KI etwas erfindet. „Das müssen die Schüler wissen“, sagt sie. Kritisches Gegenlesen gehöre beim Nutzen von KI dazu. Sie sieht hier eine pädagogische Aufgabe: Die Schule müsse Schüler im Umgang mit der KI schulen, so Gsell. Das sei eine weitere Herausforderung. Aber es helfe nichts: „Das geht nicht mehr weg.“

Zentrum für Lehrerbildung reagiert auf Nachfragen

Der Bedarf an Informationen seitens der Pädagogen scheint auch außerhalb Stuttgarts groß zu sein. Das Kultusministerium hat einer Sprecherin zufolge als erste Reaktion das Landesmedienzentrum beauftragt, Informationen zu ChatGPT zusammenzustellen. Am Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL), das bereits andere Fortbildungen zu KI im Portfolio hat, reagiert man außerdem auf „das zunehmende Interesse“, wie der Leitende Regierungsdirektor Volker Gehlhaar berichtet. Ende Januar findet kurzfristig eine offene Online-Veranstaltung zu ChatGPT statt.

ChatGPT sei „in der Tat“ ein Thema unter Lehrern, bestätigt auch Manfred Birk, der Rektor des Dillmann-Gymnasiums im Westen. Der geschäftsführende Leiter der Stuttgarter Gymnasien sieht die „Gefahr des Missbrauchs“. Lehrkräfte seien nun gefordert, Aufgaben sehr spezifisch zu stellen. „Ich warne aber davor, in Panikreaktionen zu verfallen“, so Birk. Letztlich habe es auch früher Versuche gegeben, Referate von anderen schreiben zu lassen, wie von Studenten. ChatGPT berge eine neue technische Möglichkeit des Betrugs. Jetzt auf Referate zu verzichten, fände er falsch. Als Lehrer kenne man schließlich seine Schüler.

Mit Kafka hat sich der Chatbot schwergetan

Der Leiter des Friedrich-Eugens-Gymnasiums, Stefan Wilking, glaubt, dass die Universitäten stärker betroffen sein werden von Betrugsversuchen als die Schulen. Er hat seine Multimediabeauftragen gebeten, sich schlau zu machen und bei der nächsten Gesamtlehrerkonferenz Auskunft zu geben. Ein Kollege habe die KI in der Kursstufe eingesetzt. Eine Kurzgeschichte von Kafka sollte interpretiert werden. In dem Fall sei es „dürftig“ gewesen, was die KI geboten habe.

Im Schulbezirk New York (USA) darf der Chatbot nicht mehr verwendet werden. Etwas Ähnliches ist hierzulande allerdings nicht geplant. „Die Schule hat die Aufgabe, Themen wie Künstliche Intelligenz aktiv im Unterricht aufzunehmen“, heißt es aus dem Kultusministerium auf Anfrage. Schülerinnen und Schüler müssten lernen, wie die Technik dahinter funktioniere, „welche Chancen und Möglichkeiten, aber auch Risiken damit verbunden sein können“, sagt eine Sprecherin.

KI-Tools wie ChatGPT könnten als methodisch-didaktische Werkzeuge im Unterricht angewendet werden. Aber: „Sofern die eigenständige Textproduktion ein elementarer Teil einer schulischen Aufgabe ist (was eigentlich fast immer der Fall ist), sollten solche Anwendungen nicht verwendet werden“, betont eine Ministeriumssprecherin.

So schätzt es der Chatbot selbst ein

Doch was meint eigentlich das Programm selbst: Wie wird ChatGPT das Lernen an Schulen verändern? „ChatGPT kann das Lernen an Schulen auf verschiedene Weise unterstützen, indem es beispielsweise als virtueller Lehrer oder Tutor fungiert“, schreibt dazu der Bot. Es könne Schülern bei den Hausaufgaben helfen, „indem es ihnen erklärt, wie bestimmte Aufgaben gelöst werden“. Es könne auch als Werkzeug für den Unterricht verwendet werden, „indem es Lehrern dabei hilft, interaktive und ansprechende Präsentationen zu erstellen“.

Sieht es etwa nicht das Betrugsproblem? „Das stimmt, die Möglichkeit besteht, dass Schüler ChatGPT missbrauchen, um ihre Hausaufgaben zu erledigen, anstatt sie selbst zu lösen“, antwortet der Bot. „Dies ist eine ernste ethische Überlegung, die bei der Einführung von ChatGPT in den Unterricht berücksichtigt werden muss. Es ist wichtig, dass Schulen und Lehrer Schüler darauf aufmerksam machen, dass das Plagiat nicht toleriert wird und dass sie dafür verantwortlich sind, ihre eigenen Arbeiten zu erstellen.“

Kultusministerium zu Chancen und Gefahren

ChatGPT
Bei ChatGPT handelt es sich um einen künstlich-intelligenten Textgenerator, der von dem amerikanischen Unternehmen Open AI entwickelt wurde. ChatGPT wurde so trainiert, dass es menschliche Antworten möglichst genau nachahmt. Im November 2022 wurde ChatGPT veröffentlicht und hatte innerhalb kürzester Zeit Millionen Nutzer.

Medienbildung
Im Kultusministerium ist man beim Umgang mit digitalen Medien der Ansicht, dass Medienbildung die gesellschaftlichen Realitäten nicht ausblenden sollte, „sondern diese im Unterricht thematisiert“. KI-Anwendungen könnten eine große Erleichterung im Alltag sein oder auch kreative Beiträge zum Unterricht leisten. Aber man sieht im Ministerium auch Probleme: Es sei sehr wichtig, Schülerinnen und Schüler über die missbräuchliche Verwendung von KI-Anwendungen zu informieren, betont eine Sprecherin. So könnten Chatbots in sozialen Netzwerken gezielt zur Desinformation und zur Verbreitung von Fake News genutzt werden. „Letztlich ist es die Aufgabe der Schule und der Gesellschaft – und natürlich auch des Elternhauses – Kinder und Jugendliche hierüber offen und unvoreingenommen aufzuklären“, so das Ministerium.