Vor einem Jahr sind aus dem Maßregelvollzug des Zentrums für Psychiatrie in Zwiefalten mehrfach Insassen ausgebrochen. Baulich wurde die Einrichtung seither nachgerüstet. Der Chefarzt Hannes Moser will sich jetzt aber um Patienten kümmern, die freiwillig in Behandlung sind.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Zwiefalten - Ein Jahr nach der Ausbruchserie im psychiatrischen Landeskrankenhaus Zwiefalten (Kreis Reutlingen) ist der Chefarztposten neu besetzt worden. Auf Hannes Moser folgte im April der 58-jährige Suchtmediziner Alexander Simon. Moser wechselte in eine leitende Funktion in den zivilen Trakt der psychiatrischen Klinik Zwiefalten, teilte das Zentrum für Psychiatrie Südwürttemberg mit Sitz in Bad Schussenried mit.

 

Die Klinik war politisch unter Beschuss geraten, als es zwischen Dezember 2012 und April 2013 zu drei Ausbrüchen gekommen war. Acht suchtabhängige Straftäter waren dabei entkommen, sie konnten später wieder gefasst werden. Besondere Furore machte der Ausbruch eines russischstämmigen 37-Jährigen am 10. April 2013. Er hatte einen Pfleger als Geisel genommen und sich so freigepresst. Der Mann, verurteilt unter anderem, weil er einen Polizisten niedergestochen hatte, war vor dem Landgericht Heilbronn mit einem Antrag auf Suchttherapie durchgekommen – eine Richterin schickte ihn nach Zwiefalten. Fünf Tage nach seiner Ankunft floh der 37-Jährige.

Zwiefalten gehört zu den acht psychiatrischen Kliniken des Landes, die sich um Straftäter kümmern, die suchtabhängig oder psychisch krank sind. Über die Einweisung entscheiden die Gerichte, meist auf Grundlage ärztlicher Gutachten, in denen eine günstige Therapieprognose festgehalten sein muss. Die Kliniken haben, was ihre Patienten anbelangt, kein Wahlrecht. Zwiefalten ist auf alkohol- und drogenabhängige Straftäter spezialisiert.

Neue Regeln für Gewalttäter

Nach der Ausbruchserie kam zuerst aus CDU-Kreisen die Forderung, die Psychiatrien müssten endlich so sicher wie Gefängnisse gemacht werden. Doch die Klinikleitung, allen voran Chefarzt Moser, wehrte sich. Im Fall mehrerer aus seiner Obhut entkommener Straftäter habe er frühzeitig Anträge auf Rückverlegungen in Justizvollzugsanstalten gestellt; die Probanden seien erkennbar therapieunwillig gewesen. Doch die Bearbeitung der Verfahren habe sich über Wochen hingezogen, auch weil die Straftäter über Anwälte Einsprüche gegen eine Rückverlegung eingelegt hätten. Im Fall des 37-Jährigen Gewalttäters habe niemand die Klinikleitung darüber informiert, dass der Mann in der JVA Freiburg andere Häftlinge attackiert hatte.

Die Gegenvorwürfe aus Zwiefalten wirkten, Mitte Juli trafen sich die Sozialministerin Katrin Altpeter und Justizminister Rainer Stickelberger (beide SPD) zum Spitzengespräch. Es wurde beschlossen, die Rückeinweisungsverfahren in Gefängnisse deutlich zu beschleunigen. Seitdem gilt, dass gefährliche Patienten, die nicht therapiewillig sind, nach einem Gerichtsbeschluss sofort in eine normale Zelle zurückgebracht werden. Die Gefangenen können dagegen – wie bisher – Einsprüche einlegen, aber abwarten müssen sie die Entscheidung in der Regelhaft.

Baulich hat sich viel getan

Auch baulich hat sich in Zwiefalten seither viel getan. Unter anderem wurde, auf Ratschlag von Spezialisten des Landeskriminalamts, ein Aufenthaltsraum für Pflegekräfte so verlegt, dass er vom Flurtrakt aus nicht mehr einsehbar ist. Eine Sonderzelle in Zwiefalten für Krisensituationen ist nun mit einer Doppeltür gesichert; bei einem der Ausbrüche war eine dort eingeschlossene Frau von Mitgefangenen durch die Essensluke gezogen worden.

„Der Sicherungsbereich ist mittlerweile gut ausgestattet“, sagte diese Woche ein Sprecher des ZfP Südwürttemberg. In der Bauplanung sei jetzt noch eine von einem externen Sicherheitsdienst rund um die Uhr zu bewachende zentrale Schleuse für den gesamten Forensikbereich der Klinik. Das Risiko von Geiselnahmen könne damit deutlich reduziert werden. Ganz auszuschließen, so heißt es, sei es aber nie. Stets gehe die Sicherheit von Pflegern und Therapeuten vor.

Der Neue spricht fließend russisch

Das hatte sich noch einmal Mitte November 2013 gezeigt. Wieder hatten drei Klinikinsassen ihre Betreuer überwältigt und waren mit deren Schlüsseln geflüchtet. Ein Spaziergänger, der Radio gehört hatte, entdeckte die Flüchtigen in Hayingen, die Polizei konnte schnell zufassen.

Chefarzt Moser aber, der sich von den Ereignissen des Frühjahrs schon sichtlich belastet zeigte, hatte offenbar genug. Er habe, teilte das ZfP Südwürttemberg mit, die Stationen „durch eine schwierige Zeit, geprägt von vier Ausbrüchen innerhalb elf Monaten“, geführt. Jetzt wollte sich Moser Patienten widmen, „die sich überwiegend freiwillig in Behandlung begeben“.

Vom neuen Chefarzt verspricht sich der Klinikverbund viel: Alexander Simon stammt aus Kasachstan und spricht fließend Russisch. Und Abhängige mit Migrationshintergrund, so das ZfP, bildeten schließlich „einen nicht unerheblichen Teil der Klientel“, mit denen die psychiatrischen Landeskliniken zu tun hätten.