Ausgerechnet für „nicht interessengeleitete“ Politikberatung erhielt Helmut Greim 2015 das Verdienstkreuz. Nach dem Wirbel um die Affenversuche der Autolobby ist der Politik die Auszeichnung offenbar peinlich.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Bei Vorschlägen, wer einen Orden erhalten soll, will das Bundesumweltministerium künftig genauer hinschauen. Man wolle nicht nur die Gründe für eine Ehrung ausführen, „sondern auch, was dagegen spricht und welche kritischen Punkte es gibt“, sagt ein Sprecher der neuen Ressortchefin Svenja Schulze (SPD). Anlass für das geänderte Verfahren ist eine Auszeichnung, die ihre Vorgängerin Barbara Hendricks vorgenommen hat. Im Sommer 2015 vergab sie das Große Verdienstkreuz mit Stern an den Münchner Toxikologen Helmut Greim. Gewürdigt wurden dessen „Leistungen zum Schutz von Mensch und Umwelt“: Der Einsatz fürs Allgemeinwohl sei Greim „immer eine Herzensangelegenheit“ gewesen, lobte Hendricks (SPD), „genauso wie eine nicht interessengeleitete Politikberatung“.

 

Im Nachhinein kamen der Genossin offenbar gewisse Zweifel an ihrer Laudatio. Der Grund: Greims Rolle bei der „Europäischen Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor“, kurz EUGT. Als Vorsitzender des „Forschungsbeirates“ der von den Autokonzernen Daimler, VW und BMW sowie Bosch gegründeten Lobbyorganisation war er auch in die umstrittenen Versuche mit Affen und Menschen eingebunden. Davon habe Hendricks nichts gewusst, als sie den heute 82-Jährigen für den Orden vorschlug, betont der Ministeriumssprecher.

Ordensentzug nur bei Haftstrafe

Noch vor dem Wechsel an der Spitze veranlasste das Umweltressort daher, das Verdienstkreuz für Greim zu überprüfen. Ein Staatssekretär erkundigte sich bei ihm, inwieweit er in die Abgasversuche mit Affen in den USA und die Schadstofftests mit Menschen an der Uniklinik Aachen einbezogen gewesen sei. „Ich hatte ihm daraufhin die Studien und die Gründe dafür dargestellt“, berichtete der Toxikologe unserer Zeitung. Seither habe er nichts mehr gehört. Ob er das Verdienstkreuz behalten dürfe, sagt der Ministeriumssprecher, entscheide allein das Bundespräsidialamt.

Dort wird erläutert, wie hoch die Hürden für einen Entzug des Ordens sind. Der Geehrte müsse sich „der verliehenen Auszeichnung unwürdig erwiesen“ haben, insbesondere durch eine „entehrende Straftat“. Da die Aberkennung einen „schweren Eingriff in die persönliche Integrität“ darstelle, verlange das Gesetz in der Regel eine rechtskräftige Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe. Davon kann bei dem EUGT-Chefwissenschaftler natürlich keine Rede sein. „Prof. Dr. Helmut Greim ist in der Liste der Ordensträger enthalten“, teilt das Bundespräsidialamt mit – was wohl heißen soll: nach wie vor.

Zweifel an der Unabhängigkeit

Die Ehrung hatte freilich schon 2015 allenthalben Kopfschütteln ausgelöst. Als Hohn wurde vor allem das Lob für seinen angeblich „nicht interessegeleiteten“ Rat empfunden. Bereits damals galt Greim als ausgesprochen industrienaher Experte, der Risiken regelmäßig relativierte. Ob es um Holzschutzmittel ging, um Dioxin, um das Pflanzengift Glyphosat oder zuletzt um Dieselabgase – immer wieder gab der Toxikologe ganz oder teilweise Entwarnung, auch als Experte bei Anhörungen des Bundestags. Greim sei „seit Jahren berüchtigt als Professor Halb-so-schlimm“, sagt der Hohenloher Grünen-Abgeordnete Harald Ebner. Die Auszeichnung sei daher „von vornherein falsch“ gewesen, die Begründung „absurd“. Wie könne jemand unabhängig sein, fragt Ebner, der sich für eine Studie zu Glyphosat nach eigenem Bekunden vom Hersteller Monsanto habe bezahlen lassen?

Der Grünen-Agrarexperte hat seine ganz eigenen Erfahrungen mit dem „Verharmlosungsgutachter“ gemacht, wie er ihn nennt. Anfang 2015 habe Greim in einem Fachartikel zu Glyphosat ein Krebsrisiko verneint – und sich dabei auf eine noch gar nicht veröffentlichte Einschätzung des Bundesinstituts für Risikobewertung gestützt. Als Ebner recherchierte, wie er darangekommen sein könnte, versuchte das Landwirtschaftsministerium, den Spieß umzudrehen. Der Abgeordnete habe seinerseits geheime Dokumente zu Glyphosat an die Medien gegeben, hieß es, selbst die EU sei darüber irritiert. Der Vorwurf erwies sich als unhaltbar, nach einigen Turbulenzen kassierte das Ministerium intern eine Rüge. Später räumte es ein, man habe den Vorabbericht an eine spezialisierte Agentur gegeben.

Grüne fordern Eingreifen der Kanzlerin

Bereits 2016 hatte Ebner einen kritischen „Monitor“-Bericht zum Anlass für eine Anfrage zu Greims Orden genommen. Seit Jahrzehnten rede dieser Risiken gering, hieß es darin – nach dem Motto: alles ungiftig. Greim erwiderte, er halte sich strikt an Fakten; viele Journalisten aber wollten nichts hören, was ihrer vorgefassten Meinung widerspreche. Die südbadische Umwelt-Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD) verteidigte damals die Ehrung: Man halte den Orden für „unabhängige, nicht interessengeleitete Politikberatung für gerechtfertigt“.

Ebner begrüßt zwar, dass das Ressort seine Ordenspraxis nun ändern will. Ihm sei aber „nach wie vor schleierhaft“, wie ausgerechnet Hendricks auf die Idee kam, Greim auszuzeichnen. Wer habe sie da bloß so schlecht beraten? Und aus welchen Gründen? Gemeinsam mit dem Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter und dessen Vize Oliver Krischer hat der Ulmer Abgeordnete nun einen offenen Brief an Angela Merkel geschrieben. Durch seine verharmlosenden „Gefälligkeitsgutachten“ und das Relativieren von Gesundheitsgefahren – zuletzt auch durch Dieselabgase – habe sich Greim des Ordens „insgesamt als unwürdig erwiesen“, heißt es darin. Die Bundeskanzlerin solle daher eine „umfassende Prüfung der Aberkennung“ veranlassen.