Die Chicago Cubs gewinnen erstmals seit 1908 wieder die Meisterschaft in der Major League Baseball (MLB). Indem sie die historische Durststrecke ohne Titel beenden, schreiben sie Sportgeschichte.

Sport: Gerhard Pfisterer (ggp)

Cleveland/Stuttgart - Alles, was schiefgehen kann, wird auch schiefgehen. Diese amerikanische Lebensweisheit ist auch als Murphys Gesetz bekannt. Sie geht auf den US-Ingenieur Edward A. Murphy zurück und trifft eine Aussage über menschliches Versagen in komplexen Systemen. Die Chicago Cubs kennen sich damit aus. Bestens. Besser als jede andere Mannschaft in der Sportgeschichte. Mehr als 100 Jahre ist bei ihnen so ziemlich alles schiefgegangen, was schiefgehen konnte, was ihnen viel Mitleid und auch den Spitznamen „Loveable losers“ – liebenswerte Verlierer – einbrachte. Doch damit ist Schluss, nach 39 466 langen Tagen. Genug gelitten.

 

Zwar flirteten sie auch im siebten und entscheidenden Spiel der 112. Finalserie der Major League Baseball (MLB) am frühen Donnerstagmorgen deutscher Zeit bei den Cleveland Indians einmal mehr mit einer katastophalen Wendung, verspielten eine 5:1- und 6:3-Führung und schienen wieder einmal auf der Verliererstraße zu sein. Doch nach dem 6:6-Ausgleich öffnete sich der Himmel über Cleveland, die Cubs sammelten sich während einer 17-minütigen Regenunterbrechung und gewannen die nervenaufreibende 4:45-Stunden-Begegnung in der Verlängerung mit 8:7.

Nach drei Niederlagen in den ersten vier Endspielen konnten sie sich noch durchsetzen. Es war eine der dramatischsten Aufholjagden der Baseballhistorie, die in einem epischen Sieg kulminierte. „Es war wie ein Schwergewichtskampf,“ sagte der Cubs-Routinier Ben Zobrist, der in der Verlängung einen entscheidenden Treffer am Schlagmal landete. „Ich kann es kaum glauben, dass wir schlussendlich nach 108 Jahren jetzt hier stehen und die Trophäe in die Höhe recken können.“

US-Präsident Barack Obama lädt die Chicago Cubs ins Weiße Haus ein

Damit endete die schwärzeste Serie des US-Sports. Keine Mannschaft in den vier großen Sportligen NFL (American Football), NBA (Basketball), NHL (Eishockey) und MLB musste jemals länger auf einen Meistertitel warten als die Chicago Cubs, die zuletzt 1907 und 1908 triumphiert hatten. Da hieß der Präsident der USA noch Roosevelt – wohlgemerkt Teddy Roosevelt (1901 bis 1909) und nicht Franklin D. Roosevelt (1933 bis 1945). Fernseher gab es damals noch keine. Zum Vergleich: Die scheinbar ewig auf eine Meisterschaft wartenden Fußballer des FC Schalke 04 gewannen ihren bisher letzten Titel 1958.

Es gibt kaum jemanden, der den Cubs das Ende der Durststrecke nicht gönnt. „Es ist passiert. Die Chicago Cubs haben die World Series gewonnen. Wollt ihr noch ins Weiße Haus kommen, bevor ich es verlasse?“, twitterte der scheidende US-Präsident Barack Obama, der seinerseits Fan des Stadtrivalen Chicago White Sox ist, während seine Frau Michelle („Ich bin heute so unglaublich stolz“) seit Kinderheitstagen mit den Cubs jubelt – oder besser gesagt leidet.

Denn seit deren bis dato letzter Finalteilnahme 1945 verbuchten sie zumeist mehr Niederlagen als Siege. Und immer schwang die Geschichte von dem Ziegenfluch mit, wonach der eingefleischte Cubs-Fan William Sianis bei jener Endspielserie kurz nach dem Zweiten Weltkrieg seinen Geißbock wegen dessen Gestanks nicht mit ins Wrigley Field nehmen durfte und seinen Lieblingsverein deshalb verfluchte: „Die Cubs werden nie wieder die World Series gewinnen, so lange die Ziege nicht ins Wrigley Field gelassen wird.“ Die Ziege hieß übrigens passenderweise Murphy.

Wilde Achterbahnfahrt zum Abschluss in Cleveland

Theo Epstein ist jetzt offiziell der ultimative Fluchbrecher der Baseballgeschichte. Als Manager bescherte er seinem Heimatclub Boston Red Sox 2004 den ersten Titel nach 86 Jahren und baute seit seinem Wechsel nach Chicago im Oktober 2011 die Cubs rigeros um. Er verscherbelte alle Spieler, die einigermaßen vernünftig werfen oder schlagen konnten, und tauschte sie gegen Talente ein. Nach drei mageren Jahren und der Halbfinalteilnahme 2015 reichte es nun zum historischen Titel des mit Jungstars wie Kris Bryant, Anthony Rizzo und Addison Russell gespickten Teams, das mit 103 Siegen und 58 Niederlagen schon die beste Mannschaft in der Hauptrunde war. Die wilde Achterbahnfahrt zum Abschluss in Cleveland, zu der auch der Trainer Joe Maddon mit einigen nervös Personalentscheidungen im Angesicht des großen Triumphs beitrug, bezeichnete Theo Epstein als „eines der größten Spiele aller Zeiten“ .

Für einen Abend machten die Cubs mit ihrem märchenhaften Erfolg all die Probleme vergessen, mit denen Chicago zu kämpfen hat. Die „Windy City“ gehört zu den gefährlichsten Städten der USA mit einer der höchsten Mordraten. Nach dem Meisterschaftsgewinn sangen und tanzten die beseelten Fans ausgelassen in den Straßen und in den Bars in Nähe des Wrigley Field, die während der World Series Eintrittsgelder von bis zu 100 Dollar verlangten. Viele Anhänger – darunter der Schauspieler Bill Murray – waren aber auch in Cleveland dabei.

Die längste Serie ohne Titel in der MLB hält nach dem Ende der historischen Cubs-Durststrecke übrigens jetzt der Finalverlierer: Die Cleveland Indians warten seit 1948 auf den Titel.