Chinas Staatsführung findet die Jugend zu verweichlicht und möchte lieber Helden sehen. Doch die Jungs denken nicht daran, traditionellen Gendernormen zu folgen.

Peking - Die Staatsmedien haben dem Phänomen bereits ein knackiges Schlagwort verliehen: Demnach leide Chinas Jugend unter einer angeblichen „Männlichkeitskrise“. Die Schüler des Landes seien verweichlicht, feminin und träge. Was sie brauchten, seien Disziplin, Muskeln und traditionelle Werte – wie richtige Männer eben.

 

Oder etwa nicht? Schon seit Jahren stören sich viele hochrangige Parteikader in Peking an dem gesellschaftlichen Wandel der Gender-Normen. Dass chinesische Teenager liebend gerne androgyne Popbands aus Südkorea hören, in ihrer Freizeit Unisex-Mode tragen und auf muskelbepackte Männlichkeitsidole pfeifen, ist ihnen ein Dorn im patriotischen Auge. Sie wollen wieder traditionelle Vorbilder propagieren: Soldaten, Feuerwehrmänner oder Athleten.

Mehr Sportlehrer in die Schulen

Nun hat das Bildungsministerium einen erneuten Versuch gewagt, die traditionelle Maskulinität der Jungen zu fördern. Die Maßnahme ist an sich gut gemeint wie auch harmlos: Es sollen schlicht mehr männliche Sportlehrer für die Grund- und Oberschulen angestellt werden. Tatsächlich ist es ein großes Problem, dass die unter massivem Lerndruck stehenden Jugendlichen zu wenig Bewegung haben und unter Übergewicht oder einer schlechter Körperhaltung leiden.

Doch in seinem Kontext betrachtet, ist der Vorstoß des Bildungsministeriums nichts weniger als offen sexistisch. Denn er zielt darauf ab, die „Feminisierung der männlichen Jugend“ zu verhindern, wie Si Zefu, Delegierter des Obersten Beratergremiums, in seinem Pamphlet vom Mai geschildert hat.

Das Problem sei demnach, dass die Söhne des Landes unter einem mangelnden Einfluss von männlichen Vorbildern leiden: Schon im Elternhaus werden sie vorwiegend von Müttern und Großmüttern aufgezogen, und auch innerhalb des Lehrpersonals seien Männer drastisch unterrepräsentiert. Ja, mehr noch: Dass die Teenager keine „Kriegshelden“ mehr werden wollen, könne die nationale Sicherheit bedrohen.

Aufschrei in den sozialen Medien

„So eine Politik kann nur von Männern gemacht sein. Dann sollen künftig doch auch Männer unsere Babys austragen“, schreibt eine erboste Userin im Netz. Die erhitzte Debatte auf Chinas sozialen Medien dürfte nur wenig überraschen, denn der moralische Aufschrei ist längst kein Alleinstellungsmerkmal westlicher Millennials mehr. Doch auch weniger zynische Kritik an dem Vorschlag des Bildungsministerium fand viel Anklang. Ein Nutzer meint, man solle Diversität fördern, anstatt engstirnige Ideen weiterzugeben und dadurch Vorurteile und Diskriminierung zu fördern. Oder: „Echte Bildung sollte nicht Männlichkeit oder Weiblichkeit lehren, sondern Menschlichkeit“.

Gleichzeitig hielten mindestens ebenso viele Verfechter klassischer Geschlechterrollen dagegen. „Ich selber habe einen Sohn und möchte, dass er zum Mann wird – und kein Waschlappen“, schreibt die Nutzerin Xiaolei.

Traditionalisten sehen Werteverfall

Viel Zustimmung bekam auch ein differenzierterer Kommentar: „Feminisierung ist an sich nicht negativ, aber wenn viele männliche Schüler sich das zum Schönheitsideal nehmen, ist das problematisch. Oft sehen wir Prominente in den Medien, bei denen wir das Geschlecht nur schwer erkennen können“. Homosexualität müsse man nicht verurteilen, sollte sie jedoch niemals fördern.

Die jüngste Generation, geboren im relativen Wohlstand und unter der Ein-Kind-Politik, ist im Vergleich zu ihren Eltern ungleich verwöhnter und privilegierter. Sie folgen auch anderen männlichen Schönheitsidealen: Die angesagten Schauspieler in China tragen oftmals Ohrringe, Schminke oder Tattoos. Von Traditionalisten werden sie abschätzig als „Frischfleisch“ bezeichnet - und für einen allgemeinen Werteverfall innerhalb der Gesellschaft verantwortlich gemacht.

Manche befürchten, die Welt lache über China

Dennoch sieht nicht jeder die neue Männlichkeit als Problem, auch nicht innerhalb des Systems. Der staatliche Propagandasender CCTV kritisierte beispielsweise auf seinen sozialen Medien ebenfalls die Debatte über eine angebliche „Männlichkeitskrise“: Beim Bildungssystem ginge es nicht darum, Männer- und Frauenbilder zu kultivieren, sondern vielmehr, den Willen zur Verantwortung zu entwickeln.

„Die Welt ist vielfältig. Hetero-Männer sollten das einfach mal akzeptieren“, meint eine Nutzerin im Kanal Weibo. Jemand anderes schreibt voller Selbstironie: „Sobald das Thema von ausländischen Medien aufgegriffen wird, machen wir uns wirklich vor der ganzen Welt lächerlich“.