Wie geht es dem Chorland Deutschland nach über einem Jahr Pandemie? Eine Studie der Universität Eichstätt-Ingolstadt und des Stuttgarter Carus-Verlags zeigt: Die Folgen des verordneten Schweigens sind gravierend.

Stuttgart - Gemeinsam Klänge formen und dann mitten im Zentrum der Vibrationen und Empfindungen sein: Seit März 2020 haben etwa vier Millionen Menschen in Deutschland auf die Glücksgefühle verzichten müssen, die mit dem Singen im Chor einhergehen. Seitdem bekannt wurde, dass sich das Coronavirus in Innenräumen auch über virushaltige Aerosole der Atemluft verbreitet, gilt Chorsingen als gefährlich – und wurde in den Coronaverordnungen entsprechend ausgebremst. Ein Viertel aller Chöre ist seither überhaupt nicht mehr zusammengekommen. Knapp die Hälfte hat es mit virtuellen Chorproben versucht, drei Viertel haben zwischenzeitlich open air, in kleinen Gruppen oder großen Räumen geprobt und sich dabei an die Vorgaben zu Abstand, Lüftung, Masken und verkürzten Probenzeiten gehalten. Mehr war nicht möglich. Welche traurigen Folgen Reduzierung und Wegfall von Präsenzproben haben können, deuten jetzt die Ergebnisse der „ChoCo“-Studie an, welche die Universität Eichstätt-Ingolstadt gemeinsam mit dem Stuttgarter Carus-Verlag in Auftrag gegeben hat. Erwartbares, dennoch erschütterndes Fazit eines Coronajahres: Mitglieder und Einnahmen der Chöre schrumpfen, das Niveau sinkt, und vor allem Kinder- und Jugendchöre bewerten die Aussichten schlecht.

 

Gut 4400 Chöre aus Deutschland, Österreich und der Schweiz haben an der Befragung teilgenommen. Gut zwei Drittel von ihnen haben während der Pandemie Mitglieder verloren, die Hälfte davon beklagt Verluste von mehr als 25 Prozent. Noch gravierender fällt die Bilanz bei Kinder- und Jugendchören aus: Dort haben drei Viertel der Ensembles Sänger verloren. Jeder achte Kinder- und Jugendchor hat zurzeit überhaupt keine Mitglieder; im Durchschnitt ist deren Anzahl bei vokalen Nachwuchsensembles auf 65 Prozent zurückgegangen.

Proben als Videokonferenzen und mit Übe-Apps

Geprobt wurde und wird gemeinsam mithilfe von Videokonferenzen, außerdem wurden den einzelnen Sängern Dateien mit Aufnahmen von Klavierbegleitung oder Übe-Apps zur Verfügung gestellt. Präsenzproben waren nur für Kleingruppen mit Hygienekonzepten in größeren Sälen erlaubt. Die Folge: Mehr als die Hälfte der befragten Chöre bewerten ihre Qualität im Vergleich zur Zeit vor Corona als deutlich schlechter. Knapp zwei Prozent der Chöre werden ihre Arbeit nach der Pandemie nicht wieder aufnehmen. Und mehr als die Hälfte erwartet weiterhin Mitgliederverluste – bei Kinder- und Jugendchören ist die Einschätzung sogar noch pessimistischer. Da die Chöre (neben Einnahmen von Konzerten) stark von den Mitgliedsbeiträgen abhängig sind, empfindet ein Drittel von ihnen die finanziellen Aussichten als problematisch oder gar als bedrohlich – schließlich müssen Dirigenten, Noten und oft auch Raummieten bezahlt werden.

Um dem Fragenkatalog einen konstruktiven Aspekt hinzuzufügen, fragte die Studie auch nach Wünschen für die Zukunft. Wofür hätten die Chöre gerne Zuschüsse der öffentlichen Hand? Erste Priorität: Schnelltests, die – wenigstens in kleinerer Besetzung – Proben und Konzerte in Präsenz möglich machen. Außerdem: Unterstützung bei Honorarzahlungen sowie Ausfallsicherungen bei nur geringen Konzerteinnahmen, die aus coronakonformen Zuschauerbeschränkungen resultieren. Die Studie berechnet einen Mittelwert von 3700 Euro Zuschussbedarf pro Chor.

Das Licht am Ende des Tunnels kommt immerhin näher. Da in Baden-Württemberg Chorproben als Kulturveranstaltungen gelten, dürfen im ersten Öffnungsschritt bis zu 100 Sänger open air proben, im zweiten Schritt bei ausreichender Raumgröße und Lüftung auch drinnen – allerdings nur bei stabil bleibenden bzw. sinkenden Inzidenzen unter 100. Entschieden wird von den jeweiligen Landratsämtern. Bäder im gemeinsamen Klang bleiben, weil die Abstandsregeln weiter gelten, dabei noch Zukunftsmusik.