Christian Petzold erzählt in seinem Kammerspiel „Phoenix“ eine Geschichte aus den Wirren nach dem Krieg: eine Frau soll ihr eigener Doppelgänger werden, des Geldes und vielleicht auch der Liebe wegen. Der Film thematisiert auch ein deutsches Skandalon.

Stuttgart - Deutschland, Sommer 1945, ein Auto auf dem Weg nach Westen. Auf dem Beifahrersitz eine Frau mit bandagiertem Kopf. Nelly, so heißt die Frau, hat Auschwitz überhaupt nur überlebt, weil man sie nach einem Kopfschuss für tot gehalten hat. Ihre Freundin Lene fährt, als sie an einem Kontrollpunkt anhalten müssen. Der amerikanische Soldat will das Gesicht sehen und als er das Gesicht sieht, erschrickt er und winkt das Auto unverzüglich durch.

 

Im Krankenhaus soll Nellys Gesicht operativ wiederhergestellt werden. Nelly, so der Chirurg, habe die Wahl: Zarah Leander? Oder lieber die Söderbaum? Beide allerdings gerade etwas aus der Mode. Vielleicht doch lieber was Internationaleres? Aber Nelly will ihr altes Gesicht zurück, weil sie ihr altes Leben zurückwill. Doch dahin gibt es kein Zurück, selbst wenn das Gespenst Nelly sich auf die Suche nach seinem Ehemann Johnny macht, von dem Nelly sich Antworten auf ihre Fragen verspricht. Als sich Nelly und Johnny schließlich im Nachtclub Phoenix begegnen, erkennt er sie nicht. Sein Blick geht geradezu durch sie hindurch und macht sie ein weiteres Mal zum Gespenst. Bei genauerem Hinsehen erkennt Johnny jedoch eine gewisse Ähnlichkeit Nellys, die sich ihm gegenüber Esther nennt, mit der vermeintlich toten Ehefrau.

Nelly wird zur eigenen Doppelgängerin

Johnny fasst einen Plan: er wird versuchen, aus Esther Nelly zu formen, um so an die Erbschaft zu kommen, die die ermordeten Familienmitglieder Nellys hinterlassen haben. Johnny braucht das Geld, um neu anzufangen, Esther bekäme einen Anteil. Eine Win-win-Situation. Nelly lässt sich auf den Plan ein – und wird so zu ihrer eigenen Doppelgängerin. Für den Zuschauer ist dieser Punkt der Erzählung ganz entscheidend: er muss bereit sein, sich auf diese forcierte Dialektik von Verkennen und Erkennen einzulassen, um die so intellektuelle wie spröde Konstruktion von „Phoenix“ zu goutieren.

Wie schon so oft, haben der Regisseur Christian Petzold und sein ständiger dramaturgischer Mitarbeiter, der kürzlich verstorbene Dokumentarist und Filmtheoretiker Harun Farocki, sich darangemacht, ein einmal gefundenes Thema mit reichlich Material aus der Film- und Literaturgeschichte auszufüttern, bis das geschichtete Material zu resonieren und räsonnieren beginnt. Ausgangspunkt war wohl die psychologische Rache- und Kriminalgeschichte „Der Asche entstiegen“ von Hubert Montheilet, die Farocki Petzold bereits 1988 ans Herz legte. Hitchcocks „Vertigo“ liefert Motive, angespielt wird auf Film-noir-Klassiker wie Franjus „Augen ohne Gesicht“ oder Daves’ „Die schwarze Natter“, aber auch Peter Lorres „Der Verlorene“ und Fassbinders „Ehe der Maria Braun“ spielen hier hinein.