Daten sind die Grundlage der Pandemiepolitik – und für Datenjournalismus. Zuletzt äußerten Datenjournalisten heftige Kritik an den Gesundheitsbehörden. Bekräftigen sie damit nur die Zweifler? Nein, sagt die Journalismusprofessorin Christina Elmer.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Die Diskussion um die Impfquote und andere Corona-Kennziffern wie die Hospitalisierungsinzidenz wurde maßgeblich von Datenjournalisten angestoßen. Das sind Journalisten, die sich intensiv mit der Auswertung von Daten beschäftigen – und auch auf die Methoden schauen, mit denen diese Daten erhoben werden. Schon im vergangenen Jahr übten Datenjournalisten vielfach Kritik und forderten unter anderem besseren Zugang zu Coronadaten.

 

Christina Elmer war selbst Datenjournalistin beim „Spiegel“ und hatte sich damals an dieser Initiative beteiligt. Nun lehrt und forscht sie an der TU Dortmund zu dem Thema. Im Interview ordnet sie die aktuelle Datendebatte ein – und erklärt, warum Verbesserungen so lange dauern.

Frau Elmer, quasi seit Beginn der Pandemie weisen DatenjournalistInnen auf Mängel in der Datenerhebung und bei den Kennziffern der Pandemie hin. Ist das eine erste Sternstunde des Datenjournalismus oder ein Versagen der Gesundheitsbehörden?

Es ist eine Sternstunde des Datenjournalismus. Diese Disziplin konnte selten so relevante Ergebnisse hervorbringen wie in dieser Pandemie. Und dass dabei auch deren Datengrundlage konstruktiv unter die Lupe genommen und kritisch hinterfragt wird, halte ich für einen wichtigen Ausdruck von Professionalität. Mit der Validität der Rohdaten steht und fällt schließlich auch die Qualität datenjournalistischer Recherchen und Analysen.

Verhalten sich die DatenjournalistInnen konstruktiv? Sie weisen ja auf real existierende Mängel hin. So viel negative Berichterstattung könnte aber auch Pandemie- und Impfskeptiker bekräftigen.

Darin steckt ein Dilemma, keine Frage. Aber zur öffentlichen Kritik sehe ich keine Alternative: Nur indem Datenjournalistinnen und -journalisten auch die Mängel thematisieren, werden sie ihrer Verantwortung gerecht und können einen sinnvollen Beitrag zum öffentlichen Diskurs leisten. Sie unter den Tisch fallen zu lassen oder allein im direkten Austausch mit den Behörden zu äußern, wäre in einer derart dynamischen und komplexen Situation unverantwortlich – und könnte das Vertrauen in die Medien zusätzlich beschädigen.

Datenjournalisten versuchen, die Datendiskussion mitzugestalten. Entwickelt sich gerade ein neuer, aufklärerischer Journalismustyp?

Daten werden nicht nur im Journalismus immer relevanter, sondern auch in unserer zunehmend digital vernetzten Gesellschaft. Deshalb ist es zwingend, die damit zusammenhängenden Trends und Debatten auch investigativ und kompetent zu begleiten. Und das geht nur, wenn auch die Hintergründe erklärt und kritisch beleuchtet werden, wodurch ja auch die Allgemeinbildung zu diesen Themen gefördert wird.

Dass sich der Datenjournalismus also in diese Richtung entwickelt, halte ich für unabdingbar – und eigentlich auch überfällig, schließlich sind die Medien anderswo längst an diesem Punkt. Etwa in den USA, wo es inzwischen ganze Teams gibt, die sich in ihrer Berichterstattung ausschließlich mit Algorithmen und ihren Effekten befassen.

Auch die Reaktion des Robert-Koch-Instituts und anderer Behörden wird vielfach kritisch gesehen. Woran fehlt es in solchen Institutionen, damit die letztlich konstruktive Kritik auch tatsächlich aufgegriffen wird?

Mein Eindruck ist, dass sowohl Redaktionen als auch Behörden seit Beginn der Pandemie unter hohem Druck und mit deutlich zu geringen Ressourcen arbeiten mussten. Die nötigen Kanäle und Foren, um die Kritik dann auch konstruktiv umzusetzen, hätten vorher bereits aufgebaut und etabliert werden müssen. In einer solchen Situation, bei voller Fahrt unter extremen Bedingungen, ist das wahnsinnig schwierig.