In der Performance „Die Stille der Stadt“ entwirft das Citizen Kane Kollektiv ein trauriges Bild der verlassenen Autostadt Stuttgart im Jahr 2052.

Stuttgart - Nur ein Straßenname mit Hausnummer führt dieser Tage in den Stuttgarter Osten zu einer postapokalyptischen Spurensuche. In der Gegend des alten Gaskessels und des alten Schlachthofs, am Fuße des Raitelsbergs, wirkt der am Freitagabend fallende Schnee beinahe wie Fall-out, der die Straßen vermeintlich unschuldig wattiert und an die letzte Katastrophe erinnert.

 

Schutz findet sich in einem leer stehenden Gebäude in der Rotenbergstraße 170, in dem schon ein Asiamarkt, Mietwohnungen und eine Weinstube waren und das nun vom Stuttgarter Citizen Kane Kollektiv besetzt worden ist, um dort das neue Performance-Projekt „Die Stille der Stadt“ vorzustellen. Auf drei Stockwerken sind neben Malerei und diversen Schauräumen vier performative Stücke zu sehen, die sich mit der Dystopie einer verlassenen Stadt Stuttgart im Jahr 2052 befassen. Die archaisch in Pelzmäntel und -mützen gehüllten Künstlerinnen und Künstler zeichnen damit ein düsteres Bild von einer Zeit, in der die Autoindustrie abgewandert sein wird und nur noch die Erinnerung an Geschwindigkeit und Stadtautobahn bleibt. Stuttgart als Detroit. Was macht das aus den Menschen, die zurückbleiben? Besucher erhalten für den Rundgang einen individuellen Zeitplan, der sie durch die Ausstellung führt.

Jede der Darstellungen steht zwar für sich, doch insgesamt wollen die Performances als zusammengehörend begriffen werden, was aufgrund der übergeordneten Thematik auch funktioniert. Jürgen Kärcher erzählt in „Gran Turismo“, dass das Brandschatzen und die Verbrechen draußen nicht mehr auszuhalten gewesen seien und dass er sich daher an diesem Ort versteckt. Sein Einsiedlerdasein in einer Art Höhle ist begleitet von der Autofahrt in Claude Lelouchs Film „C’était un rendez-vous“. Muffig, beklemmend und beengt ist es in dem Raum. Dennoch ist es ein warmer Ort. Um sich in diese Erinnerung zu begeben, muss man auf dem Boden sitzen. Ein paar Räume weiter bei Jonas Bolle fertigt man im so bezeichneten Stück aus „Schwanenknochen“ kleine Flöten und stellt sich die Frage, wie es wohl wäre, die Schwäne aus dem Schlossgarten zu jagen und zu essen. Wie das genau geht, muss jeder selbst herausfinden.

Auf geheimnisvolle Wiesenpfade, in eine nach Patschuli riechende, schamanenhafte Runde begibt man sich bei Ema Staicut in „The Hole“. Nachdem man alles hinter sich gelassen hat, vielleicht weil man auf der Flucht war, sitzt man dort im Erdkreis zusammen mit nichts als einer Feuerstelle inmitten der Dunkelheit. Schließlich entführen Andrea Leonetti und Christian Müller zu „Die Stadt als Hure“. Stark mimt Leonetti, natürlich auch ganz in Pelz gehüllt, im feuchten tropfenden, Spinnweben verhangenen Keller die Gunstgewerblerin, die, denn eigentlich ist damit ja die Stadt gemeint, sich darüber beklagt, dass ihr schnauzbärtiger Freier sie verlassen hat.

Hinter all dem findet sich eine subtile Botschaft der sozialen Utopie. Aus Altem entsteht Neues, wie auch immer und was auch immer zuvor geschah. Man solle doch wieder mehr Empathie wagen. Dieser Gedanke trägt die Veranstaltung, und es entsteht das Gefühl, dass dies tatsächlich möglich wäre.

Am Ende leuchten einem beim Gang in die Bar im zweiten Stock aus der Ferne in Bad Cannstatt in feucht-diesiger Winternacht in roten und weißen Lettern die großen Namen unserer Automobilstadt entgegen. „Wir sind hier, um euch zu beruhigen!“, raunt es bei elektronischen Klängen. „Wir sind hier, um euch zu beruhigen!“.

Weitere Vorstellungen: 12., 18., 19., 20., 25., 26. Und 27. Januar. Karten unter 0176/98218702 oder unter karten@citizenkane.de