Claudio Magris ist einer der großen Grenzgänger der Literatur. Zu seinem 80. Geburtstag erscheinen seine gesammelten „Schnappschüsse“ in Buchform.

Stuttgart - Romancier, Essayist und Gelehrter – all diese Berufsbezeichnungen treffen auf Claudio Magriszu. Wollte man das Werk des 1939 in Triest geborenen und noch immer dort lebenden Literaten aber auf einen Begriff bringen, so müsste man ihm den Ehrentitel „der letzte Habsburger“ verleihen. „Der habsburgische Mythos in der österreichischen Literatur“ lautete der Titel der Dissertation, mit der Magris 1963 seine Laufbahn als Germanist begann. Im Hanser Verlag ist jetzt zu Magris’ 80. Geburtstag am 10. April der Band „Schnappschüsse“ erschienen, eine Sammlung von 48 kurzen Prosastücken aus dem Zeitraum von 1999 bis 2016.

 

Wer die Romane von Magris kennt, etwa den zuletzt erschienenen „Verfahren eingestellt“, den er 2017 auch im Stuttgarter Literaturhaus vorgestellt hat, dem dürfte aufgefallen sein, dass sie meist keine linear auf ein Ziel hinstrebende Handlung haben. Sie bestehen vielmehr aus vielen einzelnen Geschichten, bei denen sich der verbindende rote Faden erst nach wiederholter Lektüre entdecken lässt. Denkt man dieses Schreibprinzip zu Ende, dann ist man bei den „Schnappschüssen“ angelangt, die Magris’ neuer Band versammelt: Prosaminiaturen, die eine Situation, ein Ereignis, einen Gedanken in konzentrierter Form umkreisen.

Der letzte Habsburger

Viele dieser Texte haben eine Moral, aber die wird nicht verbissen im Predigerton vorgetragen, sondern im Geist eines legeren Katholizismus, der zum Alltag dazugehört wie das gute Essen oder das Sonnenbad am Strand. Der Strand oder das Restaurant sind denn auch Orte, die in diesen Texten immer wiederkehren; die Szenen, die sich dort abspielen, erscheinen dem Beobachter wie ein kleines Welttheater, in dem sich das große spiegelt. Paare streiten und versöhnen sich, Jugendliche erproben ihre Kraft, Passanten zeigen sich von einer unerwarteten Seite.

Die Grenzstadt Triest, in der man bisweilen noch auf das Symbol des habsburgischen Doppeladlers stößt, wird für Claudio Magris zur geistigen Lebensform, zu einem Europa im Kleinen, das einem eine „Lektion über Verschiedenheit und Identität“ erteilt. Rom und die Probleme der großen Politik sind hier weit weg, das slowenische und kroatische Hinterland dagegen sehr nah.