Claus Peymann bringt Thomas Bernhards posthum erschienenes Buch „Meine Preise“ mit ins Stuttgarter Literaturhaus. Die lebendigen Gesten des Theatermanns machen aus Bernhards Abrechnung mit der Welt und ihrem verdorbenen Kulturbetrieb einen überraschend undüsteren Abend.

Stuttgart - Was im Stuttgarter Literaturhaus an zwei Abenden dieser Woche über die Bühne ging, könnte man als szenische Dichterlesung bezeichnen. Das Podium im großen Saal war mit schwarzen Stoffplanen drapiert, in der Mitte ein Stuhl, der auf den Rezitator wartete. Auftritt, ebenfalls ganz in Schwarz: Claus Peymann hat Thomas Bernhards nachgelassenen Band „Meine Preise“ dabei. Die Theaterlegende und der Schriftsteller sind beide in Stuttgart keine Unbekannten, was sich beim heftigen Applaus zeigte, mit dem das Publikum Peymann im ausverkauften Saal empfing. Die Generation der Theaterbesucher, die er während seiner Zeit als Schauspieldirektor am Stuttgarter Staatstheater von 1974 bis 1979 für sich eingenommen hat, hält ihm die Treue. Was Peymann sichtlich schmeichelte, auch wenn er dann beim Blick in den Saal die Enkelgeneration der Fans von damals vermisste.

 

Und Thomas Bernhard? Mit dem 1989 gestorbenen österreichischen Schriftsteller habe ihn, so Peymann, eine über 18 Jahre währende Zusammenarbeit verbunden, als Regisseur habe er viele seiner Stücke uraufgeführt, einige wie „Minetti“ 1976 auch während seiner Stuttgarter Zeit. Und obwohl er Hörbücher nicht mag, hat er sich vom Verlag Roof Music dazu überreden lassen, auf zwei CDs Bernhards 2009 posthum veröffentlichten Band „Meine Preise“ zu rezitieren. Die Edition (sie kostet 20 Euro) erscheint in diesen Tagen; um den Verkauf anzustoßen, hat sich Peymann mit dem Manuskript auf eine Tournee begeben, die ihn an seine ehemaligen Wirkungsstätten wie das Wiener Burgtheater und auch nach Stuttgart führte.

Es geht um Geld, Anzüge, Autos

Peymann versprach den Zuhörern im Literaturhaus einen bösen, lustigen und verrückten Abend, stieg aufs Podium und enthüllte dort einen von schwarzem Tuch verborgenen Prospekt, auf dem man die Namen der Literaturpreise lesen konnte, die Bernhard im Verlauf seines Schriftstellerlebens erhalten hatte. Wer bei so viel Schwarz einen düsteren Text erwartet hatte, wie man ihn aus einigen der autobiografischen Werke des österreichischen Autors kennt, sah sich angenehm getäuscht. Nur einmal werden in „Meine Preise“ die Krankenhausaufenthalte gestreift, denen sich Bernhard wegen seiner als „Morbus Boeck“ diagnostizierten Lungenkrankheit immer wieder unterziehen musste, und die damit verbundene Atmosphäre von Morbidität und schwarzem Humor. In der Lungenklinik in unmittelbarer Nachbarschaft zur Wiener Irrenanstalt Steinhof, so hören wir da, hat Bernhard mit den Todkranken „Siebzehn und vier“ gespielt und einem Theologiestudenten das Zweifeln beigebracht.

Ansonsten aber geht es um: Geld, Anzüge, Autos. Am Beginn seiner literarischen Laufbahn, Anfang der 1960er Jahre, kann Bernhard jede Mark und jeden Schilling gebrauchen und lehnt deshalb keinen Preis ab, wie er es 1987 als längst etablierter Autor mit dem Antonio-Feltrinelli-Preis tut. Am angenehmsten empfindet Bernhard einen Preis, wenn damit keine Feierlichkeiten verbunden sind, wie das beim Hamburger Julius-Campe-Preis der Fall war, den er sich 1964 mit Hubert Fichte und Gisela Elsner teilte. Für die Preissumme von 5000 Mark kaufte sich der Autor einen weißlackierten Triumph Herald mit roten Ledersitzen, mit dem er nach Istrien in den Urlaub fuhr. Das Auto überlebte diese Ferien nicht, es wurde bei einem Frontalzusammenstoß demoliert; der Autor aber kam mit einer Platzwunde am Kopf davon, der entstandene Schaden wurde ihm mehr als ersetzt – wofür die jugoslawische Justiz ein dickes Lob erhält.

Die Ministerin fragt mürrisch nach dem „Dichterling“

Ähnlich gut wie die Polizei und Justiz in Istrien kommt auch der noble Herrenausstatter Sir Anthony in der Wiener Kärtnerstraße weg, bei dem sich Bernhard 1972 kurz vor der Verleihung des Grillparzer-Preises einen Anzug kaufte, weil er nicht mit seiner 25 Jahre alten graue Wollhose und im Pullover zur Preisverleihung in der Akademie der Wissenschaften erscheinen wollte. Während des Festakts stellte er fest, dass der Anzug zu eng war – und siehe da, er konnte ihn nachher problemlos gegen einen größeren umtauschen. Auf dieser sozialen Ebene war die Welt für Bernhard also noch in Ordnung.

Erst wenn es um die Sphäre der Kulturfunktionäre geht, wird es schlimm. In der Wiener Akademie nahm niemand den Preisträger in Empfang und geleitete ihn an seinen Ehrenplatz, wo der sich doch extra in Schale geworfen hatte; die zuständige Ministerin fragte mürrisch, wo denn der „Dichterling“ sei, obwohl der neben ihr stand. Im Regensburger Rathaus, wo Bernhard 1967 zusammen mit der Lyrikerin Elisabeth Borchers die Ehrengabe des Kulturkreises des Bundesverbandes der Deutschen Industrie erhielt, verwechselte dessen Vorsitzender bei der Preisverleihung den Dichter und die Dichterin – und keiner merkte es. Hier setzen dann Bernhards Schimpftiraden gegen die „Geschmacklosigkeit“ und die „Gedankenlosigkeit“ des Kulturbetriebs ein, und auch die Beschimpfungen gegen mittelgroße Städte wie Regensburg, „in denen der Stumpfsinn warmgestellt wird“, haben hier ihren Platz.

Statt allein Bernhards Sprache zu vertrauen, versuchte Peymann deren Wüten gegen die Verdorbenheit der kulturellen Welt noch durch schauspielerische Gesten zu verstärken. Mit Verachtung im Blick warf er die gelesenen Manuskriptseiten auf den Boden und schielte dabei immer auf ein Foto, das wie eine Ikone auf einem Hausaltar auf einem Holzschemel neben ihm stand. Es zeigte die „Tante“, die in den vorgetragenen Texten stets an Bernhards Seite ist. Dahinter verbirgt sich niemand anderes als Hedwig Stavianicek, Bernhards um 37 Jahre ältere Freundin und Mäzenin, die von ihm zärtlich „mein Lebensmensch“ genannt wurde. Als stumme, aber unbeirrbare Zeugin begleitet sie sein Werk.

Am Mittwoch, 26. September 2018, folgt um 19.30 Uhr im Literaturhaus der zweite Teil der Lesung, es gibt noch wenige Restkarten.