In Stuttgart verlassen 4,5 Prozent der Jugendlichen die erste Sekundarstufe ohne Abschluss. Ein Teil muss in eine Jungarbeiterklasse – doch manche kommen dort nie an. Aktuelle Pläne der Stadt sorgen für Diskussionen.

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)

Jedes Jahr gehen auch in Stuttgart Jugendliche verloren. Sie verlassen die Schule nach der neunten oder zehnten Klasse ohne einen Abschluss und tauchen ab. Eigentlich sind Jugendliche unter 18 Jahren weiterhin mindestens berufsschulpflichtig. Doch manche entziehen sich. Sie bleiben auch einer Jungarbeiterklasse fern, die es für die Gestrandeten gibt: Ein Minimalprogramm, um die Schulpflicht sozusagen abzusitzen. Ein Tag die Woche, maximal sechs Stunden Unterricht, sind dabei angesetzt.

 

Wie schafft man es, künftig weniger Jugendliche zu verlieren? Darum ging es kürzlich im Schulbeirat und auch im Jugendhilfeausschuss. Die Stadt stellte dort ein Vorhaben vor, das „nur ein Anfang sei“, wie Bildungsbürgermeisterin Isabel Fezer klar machte. So will die Stadt die bei den beruflichen Schulen angesiedelte Meldestelle zu einer Clearingstelle erweitern, indem dort eine sozialpädagogische Kraft angesiedelt wird. Die Meldestelle ermittelt, wo berufsschulpflichtige Jugendliche nach der neunten oder zehnten Klasse verbleiben. Durch die Erweiterung will man in Zukunft Unterstützungsbedarf früher identifizieren – noch während die Jugendlichen in der allgemeinbildenden Schule sind. Indiz soll der Meldebogen sein, auf dem ein Schüler angibt, ob er als nächstes eine Jungarbeiterklasse besuchen wird. Die Fachkraft könnte dann die Jugendlichen und ihre Eltern direkt kontaktieren. „Es geht darum, die Jugendlichen in den Fokus zu nehmen und nicht zu verlieren“, erklärt Fezer. Der geschäftsführende Schulleiter der beruflichen Schulen, Felix Winkler, sieht „Chancen“, warnt aber davor, von einer Person zu viel zu erwarten.

Vorhaben sei immerhin „besser als der Status quo“

Angedacht ist von städtischer Seite auch, dass Fachkräfte der offenen Jugendarbeit auf diejenigen zugehen, die nicht in der Jungarbeiterklasse auftauchen – wobei es hier noch einige Fragezeichen gibt, ob das überhaupt umsetzbar ist, schon aus Datenschutzgründen. Die Fraktionen äußerten viel Kritik, gaben der Verwaltung aber Rückendeckung für das Vorhaben, die Meldestelle auszubauen. Die sozialen Träger enthielten sich im Jugendhilfeausschuss. Dass sie allgemein vom Konzept der Jungarbeiterklassen wenig halten, machten die Fraktionen sehr deutlich. „Es ist fünf nach zwölf, die Jungarbeiterklassen abzuschaffen“, sagte Jasmin Meergans (SPD). Das, was geplant sei, sei aber besser als der Status quo.

Jungarbeiterklassen seien „ein Auslaufmodell“

Zu Beginn dieses Schuljahres sind 153 Jugendliche in einer Jungarbeiterklasse an einer der beiden berufsbildenden Schulen in Stuttgart angemeldet gewesen, wo diese angesiedelt sind. Einige Schülerinnen und Schüler haben sogar eine Perspektive: Sie müssen nur die Wartezeit bis zum Beginn eines Bildungsgangs oder einer Ausbildung überbrücken. Sorgen machen den Verantwortlichen diejenigen, die keine Idee haben, wie es mit ihnen beruflich weitergehen könnte und eben die, die abtauchen. „Die Jungarbeiterklassen sind ein Auslaufmodell“, betonte Bürgermeisterin Fezer. Auf einen Schlag werde man diese nicht abschaffen können, sondern nur „sukzessive“. Man werde langfristig auf das Modell umschwenken, auf das auch das Land setzt: Ausbildungsvorbereitung Dual. Hier wird der schulische Teil mit einem Praktikum kombiniert. Im Schuljahr 25/26 wolle man mit AV Dual starten, berichtete Irina Bohn vom Schulverwaltungsamt. Dafür brauche man aber qualifizierte Praktikumsplätze für die nicht leichte Zielgruppe und zusätzliche Lehrkräfte, die die Begleitung übernehmen.