Der irische Autor Colm Tóibín schildert das bewegte Leben des deutschen Dichters und Nobelpreisträgers Thomas Mann. Aber lernt man tatsächlich etwas aus dessen Biografie?

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Was für ein Leben! Nicht nur, dass Thomas Mann im Lauf seines 80-jährigen Lebens Romane und Erzählungen geschrieben hat, die bis heute als Kernstück deutschsprachiger Literatur des 20. Jahrhunderts gelten und auch fast 70 Jahre nach seinem Tod weiterhin weltweit Leser finden. Auch sein eigenes Leben ist im Grunde ein einziger Roman: der frühe Erfolg, die illustre Ehe, die große Familie mit fast durchweg hyperbegabten Kindern, die politische Wandlung vom romantisierenden Antipolitiker hin zum überzeugten Demokraten, die Flucht vor den Nazis ins Exil bis nach Los Angeles; schließlich nach dem Krieg die Anfeindungen in der deutschen Presse, weil er erst gar nicht und dann Jahre später nach Zürich heimkehrte – man müsste schon ein verwegener Erzähler sein, um sich solch eine Biografie komplett auszudenken. Im Falle Thomas Manns muss man es im Zweifel nur nacherzählen.

 

Skepsis gegenüber der Lektüre bewahrheitet sich nicht

Der Regisseur Heinrich Breloer hat das 2001 in seinem sechsstündigen Dokumentarfilm „Die Manns“ geleistet und mit einer brillanten Montage aus Interviews, Spielszenen und historischem Filmmaterial Maßstäbe gesetzt. Und so geht man auch als Thomas-Mann-Fan skeptisch an den jetzt auf Deutsch erschienen Roman „Der Zauberer“ des irischen Autors Colm Tóibín heran. Selbst sein Titel – die Kinder gaben dem Vater diesen Spitznamen, weil er im Familienkreis gern mit kleinen Tricks den Magier gab – wurde von Breloer vor 20 Jahren schon gekonnt in Szene gesetzt.

Skepsis weicht dem Bann

Die Skepsis wächst mit Beginn der Lektüre, denn anders als Julian Barnes, der 2017 in seinem Roman „Der Lärm der Zeit“ die Biografie des Komponisten Dmitri Schostakowitsch so meisterhaft in wenigen Lebensmomenten verdichtet hat, hangelt sich Tóibín ganz brav von vorn nach hinten durch das Dichterleben, beginnt akkurat im ersten Kapitel namens „Lübeck 1891“ mit dem herrschaftlichen Leben in der Kaufmanns- und Senatorenvilla und endet über 500 Seiten und 64 Jahre später im Dom der Hansestadt, wo der greise Nobelpreisträger noch einmal den Gottesdienst besucht. Akribisch hat sich der irische Autor, dessen Auswandererepos „Brooklyn“ 2015 erfolgreich fürs Kino verfilmt wurde, durch das umfangreiche Quellenmaterial zu Thomas Mann gearbeitet; nicht nur dieser selbst, sondern die gesamte Familie hat sich ja umfangreich in Tagebüchern, Interviews, Aufsätzen und Briefen verewigt.

Das Bild vom dichtenden Bürgersohn

Doch kaum ist man entschlossen, diesen Roman als reine Stationenreise verbuchen zu wollen, da sieht man sich doch hineingesogen in das Geschehen und dieses Leben. Ebenso unaufgeregt wie elegant versteht es Tóibín, den Leser in seine Erzählfäden zu verstricken, entfaltet das Bild vom dichtenden Bürgersohn, der im Grunde seines Herzens eigentlich Theaterschauspieler ist, was ihm besonders beim Sublimieren seiner homosexuellen Vorlieben eine große Hilfe sein wird.

Dichter und Biograf teilen Botschaft

Und als Zentrum des Geschehens entpuppen sich die Jahre nach 1923, als Mann Schritt für Schritt erkennen muss, dass hinter der pompösen Theaterfassade der Nazis ein schier unfassbarer Terror zutage tritt gegen alles Menschliche und gegen jede Kultur, die diesen Namen verdient. Man lernt: Ästhetisches Selbstbewusstsein allein kann hier wie überhaupt nichts ausrichten, solange sie keine politische Haltung findet. Dies ist die Botschaft des Dichters Thomas Mann; dies ist aber auch die Botschaft Colm Tóibíns. Dessen Weg zum Ziel ist riskant, aber erfolgreich. Der Ire scheint den Deutschen im doppelten Sinne gut zu verstehen.

Colm Toíbín: Der Zauberer. Roman. Aus dem Englischen von Giovanni Bandini. Carl Hanser Verlag, München. 558 Seiten, 28 Euro. Lesung am Dienstag, 19. Oktober, 19.30 Uhr im Stuttgarter Literaturhaus. Keine Abendkasse! Tickets unter www.literaturhaus-stuttgart.de