Was für kantige, interessante Gestalten: Der Comic-Künstler Simon Schwartz hat große deutsche Demokraten porträtiert.

Berlin - Er war ein kleiner Kerl, gerade mal 1,50 Meter groß, aber das reichte, um große Wut auf sich zu ziehen. Ludwig Windthorst (1812-1891), ein katholischer Sturschädel aus Hannover, brachte den später in unzähligen schwergewichtigen Biografien verklärten Fürsten Bismarck regelmäßig zum Überschäumen wie eine in den Regen gekommene Tüte Brausepulver. Was als allererster Bismarck selbst zugab: „Mein Leben erhalten und verschönen zwei Dinge“, wie der eiserne Reichskanzler einmal gegenüber seinem Kanzleichef Christoph von Tiedemann eingestand, „meine Frau und - Windthorst. Die eine ist für die Liebe da, der andere für den Haß.“

 

Nach heutigen Maßstäben war Windthorst ein Erzkonservativer. Aber er war eben auch ein Kämpfer für Rechte und Selbstbewusstsein eines gewählten Parlaments gegenüber einem energischen, trickreichen, autoritären Kanzler, eine mustergültige Figur der Demokratie also. Um auf solch kantige Figuren der deutschen Demokratiegeschichte zu stoßen, muss man nicht unbedingt trockene Studienbände wälzen. Der deutsche Comic-Autor Simon Schwartz vermittelt Erst- und Kurzbegegnungen mit ihnen: in seinem neuen Band „Das Parlament – 45 Leben für die Demokratie“.

Der Bundestag will einen Comic

In Gang kam dieses Projekt im Januar 2017. Damals beauftragte der Kunstbeirat des Deutschen Bundestages Simon Schwartz, das Leben und Wirken von 45 Parlamentariern aus der Zeit von der Paulskirche 1848 bis zur deutschen Wiedervereinigung 1990 in Comicform darzustellen. Eine erste Hälfte des Werks wurde bereits im Kunstraum des Deutschen Bundestages ausgestellt, die zweite Hälfte wird derzeit bis zum 31. August 2019 dort gezeigt. Aber komplett ist das alles nun in einem Band beim Avant-Verlag für den sehr empfohlenen Hausgebrauch zu haben.

Schon ein erstes Anlesen macht klar, dass Schwartz die Bestellung nicht als Auftragsarbeit abgehandelt hat. Er hat sich vielmehr mit großem Interesse in die Materie vertieft. Und das, obwohl der vorhandene Platz die Aufgabe eigentlich zum Ding der Unmöglichkeit machte: Gerade mal eine Comicseite bekommt jede der 45 Figuren. Auf dieser einen Seite müssen jeweils ein Leben, vielfache politische Wendungen und die jeweiligen Verhältnisse begreifbar werden – von Friedrich Sigmund Jucho (1805-1884) bis hin zu Regine Hildebrandt (1941-2001).

Schönes Durcheinander

Simon Schwartz hat diese Aufgabe aber prima gemeistert. Auch wenn man streiten kann, ob das Ergebnis nun ein Comic oder ein illustriertes Lesebuch mit sehr komprimierten Texten ist, ein schlauerer und schönerer Nachfahre der „Illustrierten Klassiker“ von einst.

Was an vielen der Biografien besonders ins Auge springt: das Durcheinander von konservativen und fortschrittlichen Positionen in jeweils einem Leben. Das bietet faszinierende Lektüre in Zeiten, in denen Filterblasen und Echoräume immer vernageltere Weltbilder und extreme Lagerbildung fördern.

Info

Simon Schwartz: „Das Parlament – 45 Leben für die Demokratie“. Avant-Verlag, Berlin. 112 Seiten, 22 Euro. Hier geht es zur Leseprobe beim Verlag.

Die Ausstellung im Bundestag kann während der Kunst- und Architekturführungen im Reichstagsgebäude sowie am 24. April, am 2. und 22. Mai, am 12. und 19. Juni 2019 jeweils um 14 Uhr nach vorheriger Anmeldung in Sonderführungen besucht werden. Anmeldungen bis zum vorangehenden Montag unter Angabe von vollständigem Namen und Geburtsdatum an kunst-raum@bundestag.de