Er war eine Legende der US-Comicwelt: Als Dennis O’Neil in den 60er Jahren anfing, waren die Superhelden des Verlags DC - Batman & Co. also – altmodisch, albern und abgewirtschaftet. O’Neil machte sie wieder interessant.

Stuttgart - Wenn sich einer grell als Clown schminkt, in Las-Vegas-Showmaster-Klamotten herumgockelt und versucht, Menschen mit einer Art überdosiertem Lachgas umzubringen – ist dieser Typ dann gefährlich oder selbst eine bizarre Lachnummer?

 

Wer einen der Filme aus dem „Batman“-Universum gesehen hat, in denen der Superschurke Joker auftaucht, von Tim Burtons „Batman“ (1989) bis Todd Phillips „Joker“ (2019), der weiß, dass der Joker ein das Blut vereisender Psychopath ist, die verdichtete Mischung von blinder Amoklaufaggression und kühler Genozidplanung. Aber so war er nicht immer, er war eine Zeit lang völlig am Boden, eine hysterische Witzfigur mit absurden Plänen und null Erfolgschance. Der Mann, der ihn – und vielleicht die ganze amerikanische Superheldenwelt – aus der Ecke mit Kaugummiautomatenspielzeug heraus und mitten in die Relevanzzone der Moderne geholt hat, war in den 70er Jahren der Comicautor Dennis O’Neil.

Lauter Schießbudenfiguren

O’Neil, der nun am 11. Juni 2020 im Alter von 81 Jahren gestorben ist, gehörte zu jener auch in den USA eher kleinen Gruppe Menschen, die Superheldencomics über die frühe Pubertät hinaus lasen. Als junger Journalist in Missouri schrieb er ab und an darüber, dass mit den seit Jahrzehnten im Dauereinsatz befindlichen Figuren doch mehr möglich sein müsste als das, was gerade von den Verlagen DC und Marvel geboten wurde. Das fiel der Comicindustrie in New York auf, man holte den Mann an Bord.

O’Neil tastete sich langsam ins Medium hinein. Je mehr er von der Heftproduktion von innen mitbekam, desto klarer wurde ihm, wie abgekoppelt gerade DC von der Stimmung, den Krisen, den Gesellschaftsfragen im Land war. Keine Figur führte das deutlicher vor Augen als Batman, eine eigentlich einschüchternde Gestalt, die zu einer Art strebernervigem Schülerlotsen geworden war, umgeben von exzentrischen Schießbudenfiguren, die reihum am Schlafittchen hinter Gitter geschleift wurden.

Die TV-Serie „Batman“ hatte ab 1966 aus der Comicreihe eine quietschbunte Karikatur gemacht, halb Kinderspaß, halb ironisches Spektakel. Der Erfolg der Serie schlug wiederum auf die Comics durch, deren Batman nun noch fluffiger wurde.

Das dynamische Duo

O’Neil allein hätte seinen Plan zur Rettung der DC-Helden vor der Bedeutungslosigkeit kaum umsetzen können. Aber er traf zur rechten Zeit auf einen veränderungswilligen jungen Zeichner: Neal Adams. Das dynamische Duo läutete das Dark Age der US-Comics ein, das düstere Zeitalter, dessen Beginn manche viel zu spät mit Frank Millers Graphic Novel „The Dark Knight returns“, ansetzen. O’Neil machte Batman wieder zu einem obsessiven, traumatisierten Charakter. Adams gab Welt und Figuren jenen gotischen Touch, jenen Anhauch von Gruselstimmung, der die Guten nicht heimelig und die Siege nur wie Zwischenstationen auf einem Weg nach unten aussehen ließ. Auch die Schurken wurden renoviert. Aus scheiterndem Verbrechensschabernack wurde wieder einschüchternde Gewalt. Der Joker lachte breiter als früher, war aber kein bisschen lustig mehr.

Mit einem anderen Titel gingen O’Neil und Adams noch weiter. Sie modelten Green Arrow, bis dahin ein Playboy mit Robin-Hood-Kostüm, und Green Lantern, bis dahin der furchtlose Weltbeschützer im Dienst eines kosmischen Ältestenrats, total um und spannten sie zusammen. Green Arrow war jetzt ein linker Revoluzzer, der Green Lantern als tumben Diener eines reaktionären System verspottete. Die beiden schauten sich die USA neu an, und was sie fanden, war revolutionär für den US-Comic: ein Land in Gärung; Unrecht, das nicht an einzelnen Missetätern hing, sondern strukturell war; tiefe kulturelle und rassische Konflikte, die ganze Drogen- und Gegenkultur. Die größten Zeitungen des Landes schrieben plötzlich über das, was sich in Superheldenheftchen tat: dass die Hüter der alten Ordnung nun ratlos und zerstritten vor der großen Unordnung standen.

Unter Druck

Später hat Dennis O’Neil offen darüber gesprochen, dass ihm das zu Kopf stieg. Zerrieben zwischen Starallüren und Leistungsdruck, wurde er unter anderem alkoholabhängig. Selbst in Zeiten, in denen sein Privatleben in Fetzen hing, versuchte er aber als verantwortlicher US-Redakteur, Superhelden-Comics auf jener feinen Linie zu steuern, auf der sie für junge Leser nicht zu komplex und für ältere Leser nicht zu naiv wurden.

Im Zeitalter von Graphic Novels, in denen Superhelden auch mal in extrem harten Geschichten und mit deftigen Neudefinitionen ihrer dunklen Seiten antreten dürfen, scheint das alles logisch in ihren Grundkonzepten angelegt zu sein. Aber ohne ein paar Leute wie O’Neil und Adams wären US-Superhelden vielleicht längst an ihrer eigenen Albernheit erstickt. Die aktuellen Kinowelten von Marvel und DC – die könnten dringend jemand wie Dennis O’Neil und Neal Adams brauchen, die Routinen durchbrechen und Aufregendes wagen.